Kann eine flächendeckende Umstellung auf Ökolandbau die Ernährung sichern ?

von Dr. Hans Peter Stamp

Die Frage, ob eine flächendeckende Umstellung auf Ökolandbau die Ernährung sichern kann, wird immer wieder gestellt. Gerade im Umfeld der BSE-Krise tauchte diese Frage vielfach auf. Dabei haben einige Politiker eines jetzt erst gelernt. Da sie zunächst den ökologischen Landbau als Lösungsansatz für diese Krise sahen, mussten sie die Frage untersuchen, ob eine flächendeckende Umstellung realistisch ist. Dabei gab es beachtliche Lernprozesse. Wie aber soll eine Anbaumethode, von der selbst glühende bisherige Verfechter einer flächendeckenden Einführung jetzt nur noch einen Anteil von 20% für realistisch halten, im Rest von 80% Probleme lösen? Tatsächlich stellt sich die Frage noch krasser, weil wir zur Zeit nicht einmal 2% der Nahrungsmittel im Ökolandbau erzeugen, und eine Ausdehnung auf lediglich 5% realistischer ist als eine auf 20%.

Gleichwohl gibt es permanent die Diskussion um die flächendeckende Umstellung und die Frage, ob dabei die Ernährung der Menschen gesichert werden kann. Diese Frage ist Gegenstand der nachfolgenden Überlegungen:

Gliederung:

1 Warum überflüssige Frage? *

2 Verschiedene Argumente und Modelle *

  • 2.1 Hunger als Verteilungsproblem *

    2.2 Ernährung anpassen *

    2.3 Theorie und Praxis *

  • 3 In Deutschland *

  • 3.1 Hunger als Verteilungsproblem *

    3.2 Qualität der Zahlen/Methode *

    3.2.1 Qualität der Zahlen *

    3.2.2 Zur Methode *

    3.2.3 Einige problematische Punkte blieben außer Acht *

    3.3 Ernährung anpassen *

    3.4 Zunächst zu den Überversorgungsprodukten: *

    3.4.1 Zucker *

    3.4.2 Getreide *

  • 3.4.2.1 Getreide zur menschlichen Ernährung *

    3.4.2.2 Futtergetreide *

  • 3.4.3 Rindfleisch *

    3.5 Zwischenbilanz *

    3.5.1 Kartoffeln *

    3.5.2 Milch *

    3.5.3 Speiseöl *

    3.5.4 Eier und Geflügelfleisch *

    3.5.5 Obst und Gemüse *

    3.5.6 Schweinefleisch, eine Möglichkeit, den Fleischverbrauch zu reduzieren? *

  • 3.5.6.1 Die größte Lücke beim Schweinefleisch *

    3.5.6.2 Anpassung der Ernährung durch Reduzierung des Fleischverbrauchs *

  • 3.6 Vergleich mit der anfänglichen Grobrechnung *

  • 4 In Europa *

    5 Die übrige Welt *

    1.  
    2. Warum überflüssige Frage?
    3. Eine flächendeckende Umstellung auf Ökolandbau wird es weder in Deutschland, in ganz Europa oder weltweit jemals geben. Denkbar ist allenfalls eine langsame Annäherung der heutigen Systeme, bei der die positiven Elemente sowohl des ökologischen Landbaus als auch des konventionellen Landbaus am Ende in einem gemeinsamen System zusammenfließen.

      Deswegen ist auch die Frage ob unter diesem Szenario die Ernährung gesichert werden kann, eigentlich überflüssig. Der flächendeckende Ökolandbau wird allein schon deshalb niemals Wirklichkeit, weil er sich nicht verordnen lässt und nicht alle Landwirte eine Umstellung wollen werden. Es macht auch keinen Sinn, ihn zu verordnen, weil es kein übergeordnetes Interesse gibt, auf z.B. mineralischen Stickstoffdünger oder ökologisch unbedenkliche Mittel des chemischen Pflanzenschutzes gänzlich zu verzichten. Kein vernünftiger Mensch kommt auf die Idee, den konventionellen Landbau zu Gunsten des Ökolandbaus verbieten zu wollen. Das wäre auch allein schon im Hinblick auf die klare andere Ausrichtung der Agenda 21 nicht vertretbar.

      Der ökologische Landbau hat zur Beantwortung bestimmter ökologischer Fragen in Teilbereichen und zur Versorgung einer kleinen Marktnische seine Bedeutung. Gerade aber die Landwirte, die ihr Einkommen durch Ausnutzung der Marktnische sichern, müssen vor einer Überdehnung des Angebots die größten Befürchtungen haben. In den zurückliegenden fünf Jahren ist der Preis für ökologisch angebauten Weizen von 85,- DM auf 55,- DM zurückgegangen. Beim konventionell erzeugten Weizen ging es von 26,- DM auf 22,- DM. In demselben Zeitraum gab es auch eine Umkehr beim Einkommen; noch vor wenigen Jahren waren die Gewinne in den Ökobetrieben höher, in jüngster Zeit sind sie deutlich niedriger als in konventionellen Betrieben und das trotz besserer staatlicher Förderung.

      Es gibt Länder, in denen Düngemittel und Pflanzenschutzmittel aus Gründen der Geldknappheit knapp sind; dort sind Produktionskenntnisse aus dem ökologischen Landbau häufig hilfreich.

      So gibt es viele gute Gründe für den ökologischen Landbau in einer begrenzten Zahl von Betrieben und für eine Intensivierung der Forschung zum ökologischen Landbau. Eine weltweite flächendeckende Umstellung entspricht aber einer unrealistischen Vorstellung. Obwohl die Frage nach der Ernährungssicherung also vor einem nicht realistischen Hintergrund steht, wird sie immer wieder gestellt und diskutiert.

    4. Verschiedene Argumente und Modelle
    5. Es gibt verschiedene Argumentationenwege für die These, wonach die Ernährung auch bei flächendeckender Umstellung gesichert werden kann:
      1.  
      2. Hunger als Verteilungsproblem

    So sagen die Befürworter der These, dass in den klassischen Hungerländern wie z. B. dem Sudan nicht der Mangel an agrarischer Produktion die Ursache für den Hunger ist. Ursache sei vielmehr die politische Verfassung eines solchen Landes und dessen mangelnde Infrastruktur. Der Hunger, so heißt es, sei ein Verteilungsproblem. Dieses Argument ist zutreffend. Es betrifft aber nur einen sehr kleinen Teil des zu behandelnden Problems. Einige wichtige Aspekte werden nicht erfasst. Dazu gehören z.B. folgende:

      1.  
      2. Ernährung anpassen
      3. Die Befürworter der These sehen sich mit Einwendungen der vorgenannten Art konfrontiert. Den darauf basierenden Berechnungen können sie sich nicht entziehen. Andererseits sind sie von der Notwendigkeit der flächendeckenden Umstellung z.B. aus ökologischen Gründen überzeugt. So entwickeln sie neue Denkmodelle. Eines davon ist die Forderung auf Umstellung der menschlichen Ernährung. Um zu einer Bejahung der gestellten Frage zu kommen, verändern sie also die Frage, etwa in folgendem Sinne: Kann man die Ernährung so umstellen, dass eine flächendeckende Umstellung auf ökologischen Landbau vertretbar wird? Diese Frage bejahen sie dann. Ob dieses Ja berechtigt ist, wird nachstehend ebenso untersucht wie die übrigen Aspekte des Themas.
      4. Theorie und Praxis

    In vielen Aufsätzen, in denen am Ende ein Ja zu der These steht, wird das Zahlengebäude der landwirtschaftlichen Praxis verlassen. Es werden in Betriebsmodelle Zahlen eingebaut, die theoretisch möglich sind, die aber nicht den tatsächlichen Durchschnittszahlen der agrarischen Praxis entsprechen. Hierzu heißt es, in auf die Zukunft gerichteten Modellen müsse auch der mögliche Fortschritt berücksichtigt werden. Häufig werden deshalb in Modellen Versuchsergebnisse kleiner Parzellen an Stelle von Praxiszahlen eingefügt. Wieweit ein solches Vorgehen vertretbar ist, soll an anderer Stelle nochmals beleuchtet werden.

    1.  
    2. In Deutschland
    3. Da in Deutschland schon der konventionelle Landbau unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen nur eine 80%ige Versorgungssicherung möglich macht, und wir einer der größten Nettoimporteure für Nahrungsmittel sind, haben die Befürworter der These zur flächendeckenden Umstellung es in Bezug auf Deutschland schwer.

      Wie soll es geschehen, dass schon die konventionelle Landwirtschaft die Bevölkerung in Deutschland nicht ohne Importe ernähren kann, eine Alternative mit nur gut halb so hohen Felderträgen dies aber können soll?

      Nimmt man die Naturalerträge des konventionellen Landbaus mit durchschnittlich 60% des konventionellen Landbaus an, sinkt die Selbstversorgungsrate rechnerisch von 80% auf 48%. Für die 80% - Versorgung braucht die deutsche Landwirtschaft 17 Mio ha. Eine 100% - Versorgung würde demnach unter den Bedingungen des konventionellen Landbaus 21,25 Mio ha benötigen. Bei einem Naturalertragsniveau von 60% des konventionellen Landbaus errechnen sich daraus unter den Bedingungen des ökologischen Landbaus 35,4 Mio ha. So errechnet sich für den Fall der flächendeckenden Umstellung eine Fehlfläche von 18,4 Mio ha. Diese Fehlfläche ist so gewaltig, dass noch einmal das Überflüssige an der Frage deutlich wird. Eigentlich könnte man jetzt schon mit der weiteren Behandlung der Frage aufhören.

      Die pauschale Bewertung soll aber dennoch nachfolgend durch eine detailliertere Untersuchung an den einzelnen Produktgruppen überprüft werden.

      Fangen wir mit einer detaillierteren Untersuchung bei einigen Produkten an, bei denen wir auch in Deutschland eine Überversorgung haben. Bei der nachfolgenden Liste der Produkte werden diese zuerst abgehandelt, da es hier u.U. Reserven gibt, die zum Ausgleich von Versorgungslücken herangezogen werden können.

      Von den drei oben angesprochenen Diskussionsfeldern :

      1.  
      2. Hunger als Verteilungsproblem
      3. "Hunger als Verteilungsproblem", "Ernährung anpassen" und der Frage ob Praxiszahlen oder theoretisch mögliche Ansätze, können wir das erste als für Deutschland nicht relevant weglassen. In Deutschland gibt es Hunger nur aus Diätgründen etc., ansonsten Überfluss wegen der in dieser Hinsicht unbegrenzten Kaufkraft und der möglichen Importe.
      4. Qualität der Zahlen/Methode
        1.  
        2. Qualität der Zahlen
        3. Zur Frage der Qualität der Zahlen hat Deutschland mit dem jährlichen Agrarbericht der Bundesregierung ein so gründliches System unmittelbarer Praxiszahlen, dass es methodisch problematisch wäre, ersatzweise mit theoretischen Zahlen zu arbeiten. Wer Fakten hat, braucht nicht mit Studien zu arbeiten oder zu schätzen. Und , wer sich mit dem Versuchswesen auskennt, weiß, wie problematisch der Ansatz von Versuchsergebnissen in Rechenmodellen ist. Das gilt in besonderem Maße bei Überlegungen zum ökologischen Landbau, da die allgemein in der Landwirtschaft zu registrierenden jährlichen Ertragszuwächse im konventionellen Landbau deutlich höher sind als im ökologischen Landbau und deshalb auf keinen Fall auf diesen übertragen werden können. So stieg in den letzten acht Jahren der Weizenertrag im Ökolandbau nur von 36,9 dt auf 38 dt. In der konventionellen Vergleichsgruppe des Agrarberichtes stieg er von 58,7 dt auf 64,3 dt und bei der Gesamtheit der konventionellen Testbetriebe sogar von 64,8 dt auf 76,5 dt.
        4. Zur Methode

    Methodisch gehe ich wie folgt vor:

    Aus den Testbetrieben des Agrarberichtes gewinne ich vier Kennwerte.

    Aus diesen vier Kennwerten lässt sich für jede Ackerfruchtart bzw. tierische Produktart die Flächendifferenz zwischen der hochgerechneten tatsächlichen Ökofläche und der benötigten Ökofläche ausrechnen und zwar bei flächendeckender Umstellung auf den ökologischen Landbau und einem Versorgungsanteil von 100%. Diese Flächendifferenz kann bei heutigen Überversorgungsprodukten auch positiv sein. Bei heutigen Unterversorgungsprodukten können sich nur Fehlflächen errechnen, da der Ökolandbau bei keiner Produktart an die Naturalleistungen des konventionellen Landbaus heranreicht. Die positiven Flächendifferenzen werden dann mit den Fehlflächen saldiert.

    Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass sie überwiegend von Tatsachen und nur minimal von Annahmen ausgeht. Die wichtigste Annahme ist, dass bei flächendeckender Umstellung die Gesamtheit der dann nur noch ökologischen Betriebe gleiche Naturalerträge haben würde wie die heute schon vorhandenen Ökobetriebe. Weiter wird angenommen, dass die Flächenanteile im Betrieb ebenfalls gleich bleiben.

    Wer in alternativen Modellen an diesen Flächenanteilen Veränderungen vornimmt, muss bedenken, dass die Gesamtheit von 17 Mio. ha nur einmal zur Verfügung steht. Wer also z.B. Zuckerrübenflächen, die es derzeit im ökologischen Landbau praktisch nicht gibt, ins Modell einführen will, muss woanders Abzüge vornehmen. Das Gleiche gilt für bisher im Ökolandbau praktisch nicht vorhandene Flächen mit Erzeugung pflanzlicher Fette. Mir schien es sinnvoller, in solchen Fällen Fehlflächen auszuweisen, da am Ende ohnehin das Fehlen von Flächen herauskommt.

        1. Einige problematische Punkte blieben außer Acht

    Außer Acht geblieben sind einige Aspekte, die das Modell einer flächendeckenden Umstellung in Deutschland zusätzlich problematisieren würden, z.B.:

      1.  
      2. Ernährung anpassen
      3. Das Stichwort "Ernährung anpassen" wird nur zunächst ausgeklammert. Es werden zunächst die Bedarfszahlen so angesetzt wie sie tatsächlich sind. Danach werden Überlegungen zur Kompensation der Versorgungslücke angestellt, insbesondere zur Reduzierung des Fleischverzehrs.
      4. Zunächst zu den Überversorgungsprodukten:
        1. Zucker
        2. Den höchsten Versorgungsgrad haben wir in Deutschland bei Zucker. Dies ist agrarpolitisch unproblematisch, weil die Übermengen ohne staatliche Stützung auf dem Weltmarkt abgesetzt werden. Die Produktionsfläche liegt bei 500000 ha und die Eigenversorgung bei 145%. Theoretisch würden also 345000 ha für die Eigenversorgung reichen. Da es aber laut Agrarbericht im Ökolandbau keinen Zuckerrübenanbau gibt, entsteht selbst hier schon ein zusätzlicher Flächenbedarf. Ertragszahlen über Zuckerrüben im Ökolandbau liegen nicht vor. Zieht man die Hackfrucht Kartoffeln zum Vergleich heran, muss man von einem Flächenbedarf ausgehen, der mehr als doppelt so hoch ist wie im konventionellen Landbau. Gehen wir deshalb von 700000 ha Fehlfläche aus. Überlegungen, wonach der Verbrauch von Zucker aus physiologischen Gründen reduziert werden kann, wollen wir hier nicht anstellen. Hier soll es um die Frage der Versorgungslücken gehen. Bei Zucker würde ein Ausweichen auf "behauptete gesündere" Energieträger den Flächenbedarf erhöhen und nicht senken. Eine Kompensation von Versorgungslücken gibt es bei Verzicht auf Zucker also nicht, im Gegenteil.
        3. Getreide
        4. Getreide ist der Bereich mit dem in Deutschland zweithöchsten Versorgungsgrad von 125%. Die im Inland nicht benötigte und exportierte Menge ist aber geringer als die importierte Futtermenge. In einem Gedankenspiel zur flächendeckenden Umstellung auf ökologischen Landbau dürfte es deshalb zulässig sein, exportiertes Getreide und importiertes Futter zu saldieren. Per Saldo kommt man so zu einer Unterversorgung. Aus Vereinfachungsgründen und, um dem Ökolandbau am Ende auf jeden Fall gerecht worden zu sein, wird eine Versorgung von Brotgetreide und Futtergetreide von jeweils 100% angenommen.

          Im Wirtschaftsjahr 1998/99 wurden in Deutschland auf 7 Mio ha 44,6 Mio. t Getreidewert angebaut.

          1. Getreide zur menschlichen Ernährung
          2. Davon entfallen auf unmittelbare menschliche Nahrung und industrielle Verarbeitung (ohne Futter) 11,5 Mio t. Dafür benötigt man 1,8 Mio ha Anbaufläche. Bei dem gegenwärtigen Minderertrag im ökologischen Landbau von ca. 40% entsteht so eine Fehlfläche von 1,08 Mio ha. Die bis jetzt gesamte Fehlfläche addiert sich damit zu 1.780.000 ha.
          3. Futtergetreide

          Bei Futtergetreide würde sich mit demselben Rechengang eine zusätzliche Fehlfläche von 8,7 Mio ha ergeben. Diese Fläche dürfen wir aber nicht ohne weiteres zuaddieren, weil der Ökolandbau weniger Viehhaltung hat und teilweise andere Futterarten verwendet. Deswegen und aus Vereinfachungsgründen und wiederum, um dem Ökolandbau am Ende auf jeden Fall gerecht worden zu sein, addiere ich hier keine Fehlfläche zu, sondern verschiebe dies auf die Kapitel zur tierischen Erzeugung.

        5. Rindfleisch

        Eine Überversorgung gibt es in Deutschland außer bei Zucker und Getreide nur bei Rindfleisch mit 120% (unbeachtet die neueste Entwicklung auf Grund der BSE-Fälle). Deswegen wenden wir uns als nächstem diesem Produkt zu. Der Agrarbericht 2000 weist für den Ökolandbau einen um 24% niedrigeren Milchkuhbestand und einen um 53% niedrigeren Bestand an Jung- und Mastvieh aus. Danach läge beim Kuhfleisch eine Unterversorgung von 4% und beim Fleisch aus männlichem Mastvieh eine noch deutlich größere Unterversorgung vor. Offensichtlich werden viele Bullenkälber – vermutlich weil Futter der limitierende Faktor ist - an konventionelle Berufskollegen verkauft. Gemessen am Jung- und Mastviehbestand der konventionellen Betriebe würde zu dem Kuhbestand der Ökobetriebe ein deutlich höherer Jung – und Mastviehbestand gehören. Die fehlenden Tiere sind im Zweifel fast alle männlich, und der Bestand an männlichen Rindern liegt nur bei etwa einem Viertel dessen, was konventionelle Betriebe haben. Ich schätze die Unterversorgung aus männlichen Rindern sehr vorsichtig mit 50%. Im Mittel beider Geschlechter ergibt sich so eine Unterversorgung von mindestens 27%. Es fehlen nach flächendeckender Umstellung also gut 400000 t Rindfleisch, für die unter den Bedingungen des Ökolandbaus eine Fläche von mindestens 0,7 Mio ha erforderlich wäre. In den heutigen Ökobetrieben beträgt der Anteil der Futterfläche im engeren Sinne 45%. Bezogen auf die gesamte deutsche landwirtschaftliche Nutzfläche ergäbe das 7,65 Mio ha. Zum Ansatz kommen hier lediglich 0,7 Mio ha, also 9% davon. Dies ist eine äußerst vorsichtige Schätzung, die auch deswegen so besonders vorsichtig vorgenommen wird, weil die Unwägbarkeiten aus der BSE-Krise groß sind. Die bis jetzt gesamte Fehlfläche addiert sich auf 2.480.000 ha.

      5. Zwischenbilanz
      6. Die bisherige Fehlfläche hat sich auf 2,4 Mio ha addiert, obgleich wir bisher nur Produkte betrachtet haben, bei denen zur Zeit in Deutschland eine Überversorgung besteht. Die Ökobetriebe hatten im Wirtschaftsjahr 1998/99 einen Stillegungsanteil von 5%. Auf die gesamte deutsche LF bezogen wären das 860.000 ha. Diese wollen wir von der bisher errechneten Fehlfläche abziehen. Verbleibt eine Fehlfläche von 1.620.000 ha. Nach Benennung dieser Fläche kommen wir zu den Produkten, bei denen zur Zeit in Deutschland keine Überversorgung besteht.
        1. Kartoffeln
        2. Die Selbstversorgungsrate bei Kartoffeln liegt bei knapp 100%. Dies wird im wesentlichen durch eine konventionelle Anbaufläche von 240000 ha erreicht. Nach dem Agrarbericht 2000 liegt der Kartoffelertrag im ökologischen Landbau bei 155,1 dt/ha und im konventionellen Landbau bei 325,2 dt. Aus dieser Ertragsrelation errechnet sich eine zusätzliche Fläche von gut 260000 ha. Die Fehlfläche addiert sich damit auf ca. 1.900.000 ha.
        3. Milch
        4. Die Selbstversorgungsrate bei Milch und Milchprodukten liegt in Deutschland bei 97%. Die Testbetriebe des Agrarberichtes haben 40,5 Milchkühe pro 100 ha bei einer Leistung von 5974 kg Milch. Bei den ökologischen Testbetrieben sind es 30,8 Kühe mit 4917 kg. Rechnet man die beiden letzten Zahlen hoch, kommt man auf eine Selbstversorgung von 61% bei flächendeckender Umstellung. Es müssten für eine Vollversorgung gut 5 Mio zusätzliche Kühe gehalten werden. Hierfür würden unter den derzeitigen Bedingungen des Ökolandbaus in Deutschland mindestens 2,5 Mio. ha zusätzliche Fläche benötigt. Die Fehlfläche addiert sich damit auf mindestens 4.400.000 ha.
        5. Speiseöl
        6. Die Selbstversorgungsrate bei Speiseöl liegt in Deutschland derzeit bei unter 60%. Aus deutscher ökologischer Produktion stammt dabei praktisch nichts. Der konventionelle Landbau hat gegenwärtig knapp 500000 ha Speiseraps. Bei Vollversorgung müsste er also mindestens 800000 ha haben. Nach dem Agrarbericht 2000 liegt der Rapsertrag im ökologischen Landbau bei 13,4 dt und im konventionellen Landbau bei 34,4 dt. Bei flächendeckender Umstellung würden also mindestens 2 Mio. ha zusätzlich gebraucht werden. Die Fehlfläche addiert sich damit auf mindestens 6.400.000 ha.
        7. Eier und Geflügelfleisch
        8. Der Bereich Eier und Geflügelfleisch ist der einzige, bei dem nach den Zahlen des Agrarberichtes im Ökolandbau etwa eine gleiche Produktionskapazität vorliegt. In diesem Sektor haben wir derzeit aber nur eine Eigenversorgung von ca. 70%. Es fehlen also so oder so ca. 400000 t Geflügelfutter. Bei den Getreideerträgen des ökologischen Landbaus braucht man dafür mindestens 100000 ha. Die Fehlfläche addiert sich damit auf mindestens 6.500.000 ha.
        9. Obst und Gemüse
        10. Bei Obst und Gemüse ist die Eigenversorgungslage in Deutschland unter allen agrarischen Produkten am schlechtesten. Bei einer Eigenversorgung von etwa 30% besteht schon heute ein zusätzlicher Flächenbedarf von über 220000 ha. Obgleich auch hier der Ertrag pro ha im Ökoanbau sicherlich vergleichbar niedrig liegen wird wie in den bereits genannten Bereichen, soll wegen fehlenden statistischen Materials von lediglich 30% Minderertrag ausgegangen werden. Danach würde sich die Fehlfläche auf mindestens 6.800.000 ha erhöhen.
        11. Schweinefleisch, eine Möglichkeit, den Fleischverbrauch zu reduzieren?
          1. Die größte Lücke beim Schweinefleisch
          2. Die konventionellen Betriebe des Agrarberichtes 2000 haben einen Schweinebestand in Größe von 60,5 VE pro 100 ha. Damit schaffen sie eine Versorgungsrate von 80%. Bei 100% Versorgung würden sie also 75,6 VE in Form von Schweinen benötigen. Die ökologischen Testbetriebe haben zum Vergleich 2,9 VE Schweine. Zur Vollversorgung würden ihnen also bei gleicher Futterverwertung und Reproduktionsrate 72,7 VE fehlen, der Eigenversorgungsanteil läge bei nur 3,5%.

            Tatsächlich liegt die Reproduktionsrate mit 15,1 Ferkeln pro Sau im Vergleich zu 19,1 in konventionellen Betrieben deutlich schlechter.

            Setzt man hier und bei den täglichen Zunahmen pro Mastschwein eine Minderleistung von 10% an, was die wirklichen Verhältnisse im Öko-Betrieb mit Sicherheit schönt, würde bei flächendeckender Umstellung und gleichem Verbrauch an Schweinefleisch ein Mehrbestand von 80,2 VE-Schweinen benötigt. Hierfür braucht man mindestens 13 Mio t Futter. Bei den Erträgen des ökologischen Landbaus werden dafür zusätzlich mindestens 3.700.000 ha Getreidefläche benötigt.

            Danach würde sich die Fehlfläche auf mindestens 10.500.000 ha erhöhen. Diese Fläche entspricht ziemlich genau der Agrarfläche der Länder Belgien, Luxemburg, Niederlande, Dänemark und Irland. Dies sind die Länder, ohne deren Exporte die Menschen in den übrigen EU-Ländern bei weitem nicht genug zu essen hätten. Es ist unvorstellbar, die Agrarflächen dieser Länder gänzlich dafür einzusetzen, die deutsche Bevölkerung mit Ökoprodukten zu versorgen. Die Menschen in diesen Ländern hätten dann nichts zu essen, und die Menschen im übrigen Europa zu wenig.

          3. Anpassung der Ernährung durch Reduzierung des Fleischverbrauchs

        Wenn man sich über Anpassung der Ernährung durch Reduzierung des Fleischverbrauchs unterhält, macht es wenig Sinn, beim Rindfleisch anzusetzen. Das Rindfleisch fällt bei der Milchproduktion quasi mit an. Und im Ökolandbau ist unter der Annahme der Vollversorgung mit Milch wegen der geringeren Leistung pro Kuh die Zahl der Kälber sogar deutlich höher. Bei flächendeckender Umstellung auf ökologischen Landbau entfällt zudem die Möglichkeit des Verkaufs der Bullenkälber an konventionelle Berufskollegen.

        Am Schweinefleisch aber könnte man theoretisch sparen und es teilweise oder vielleicht sogar ganz durch pflanzliche Nahrung ersetzen. Dies wäre zwar die Entmündigung des Verbrauchers, dessen Mündigkeit gerade in diesen Tagen immer wieder besonders betont wird; man würde den Verbraucher dann nicht mehr selbst entscheiden lassen, aber ernährungsphysiologisch vertretbar wäre es, da man als Träger von tierischem Eiweiß Rind- und Geflügelfleisch sowie Eier und Milch hätte. Deutschland läge bei einem solchen Szenario mit dem Verbrauch an tierischem Eiweiß dann knapp unter dem Durchschnitt auf der Welt und damit noch bei einer vertretbaren Versorgung.

        Wir haben gesehen, dass bei einer flächendeckenden Umstellung aus einer Hochrechnung der gegenwärtigen Ökobetriebe sich ein Eigenversorgungsanteil von 3,5% errechnen lässt. Das heißt, dass bei einem Szenario ohne zusätzlichen Futterverbrauch der Verzehr an Schweinefleisch um 96,5% zurück gehen müsste, eine wirklichkeitsferne Annahme. Um dann die Menschen zumindest energetisch hinreichend zu ernähren, würden aber bei der Ertragshöhe der derzeitigen Ökobetriebe mindestens 800000 ha für die Produktion der an die Stelle des Schweinefleisches tretenden pflanzlichen Nahrung benötigt. Es ergibt sich also selbst bei 96,5%iger Verminderung des Schweinefleischverzehrs eine Erhöhung der Fehlfläche auf 7.400.000 ha.

        Dänemark könnte man dann aus dem eben gezeichneten Bild nehmen, für Belgien und die übrigen drei Länder würde sich an dem Bild aber nichts ändern. Es gäbe dort keine Produktion für das jeweils eigene Volk und keinen Export in die übrigen unterversorgten Länder.

      7. Vergleich mit der anfänglichen Grobrechnung

    Ein Vergleich mit der anfänglichen Grobrechnung ergibt, dass die Fehlfläche von 10,5 Mio ha deutlich niedriger ist als die Fehlfläche von 18,4 Mio ha. Die Differenz und das damit günstigere Abschneiden des ökologischen Landbaus ist im wesentlichen dadurch zu erklären, dass bei der detaillierten Berechnung bei jedem einzelnen Schritt zu Gunsten des ökologischen Landbaus auf- bzw. abgerundet wurde und jeder unsicher erscheinende Schritt unterblieb. Es mag sein, dass die grob errechnete Fehlfläche von 18,4% zu hoch ist. Man sieht aber auch, dass die aus der vorsichtigen Berechnung stammende Fehlfläche von 10,5 Mio ha mit großer Sicherheit von der Wirklichkeit nach unten abweicht.

    1.  
    2. In Europa
    3. Die Frage, ob Europa nach flächendeckender Umstellung auf ökologischen Landbau noch hinreichend ernährt werden kann, dürfte schon bei den Überlegungen zu Deutschland beantwortet worden sein. Wenn zur Ernährungssicherung der Deutschen die gesamte Agrarfläche der genannten Exportländer benötigt wird – ob nun mit oder fast ganz ohne Schweinefleisch -, braucht man keine weiteren Überlegungen anzustellen. Die Europäische Union würde zum gigantischen Importeur für Nahrungsgüter.
    4. Die übrige Welt

    Ob die übrige Welt die europäische Nachfrage unter Bedingungen des ökologischen Landbaus befriedigen kann, soll nicht mehr näher untersucht werden. Wie absurd ein solcher Gedanke ist, dürfte allein durch einen Blick nach China deutlich werden. Chinas Landwirtschaft ohne mineralische Stickstoffdüngung und chemischen Pflanzenschutz würde allein von der dann dort entstehenden Versorgungslücke her den Weltmarkt an Nahrungsgütern leer fegen wollen. Tatsächlich würden sie das aber nur teilweise können, den Chinesen würde dafür in Kaufkonkurrenz mit den Europäern die Kaufkraft fehlen. Die Folge wären gewaltige Hungersnöte in dem Land, in dem fast jeder vierte Erdenbewohner lebt.

    So wird vielleicht auch deutlich, weshalb die 178 Regierungsdelegationen, die 1992 in Rio de Janeiro die Agenda 21 als Lösungsstrategie für das 21. Jahrhundert beschlossen, den ökologischen Landbau links liegen ließen, ja das Wort nicht einmal in den 300seitigen Text aufnahmen. Vernünftige Strategien sind in der Agenda 21 formuliert: Integrierte Düngung, Integrierter Pflanzenschutz, Gentechnologie bei Tier und Pflanze und die klare Forderung auf Intensivierung der Landwirtschaft.