Nr. 27 vom 08. Juli.2000

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Ökologie ist eine besonders spannende Disziplin der Wissenschaft. So gibt es einzelne Bäume im tropischen Südamerika, auf denen sich mehr Käferarten befinden als in ganz Schleswig-Holstein, eine Tatsache, die schon vor Jahrzehnten entdeckt wurde. Ebenso verblüffend ist ein Phänomen, das erst jüngst auf dem amerikanischen Doppelkontinent entdeckt wurde und durch die Fachpresse ging.

Einige allgemeine Anmerkungen vorweg: Genetische Vielfalt ist durchweg erwünscht, und dies aus mehreren Gründen. So wird von niemandem bezweifelt, dass es gut ist, eine große Artenvielfalt zu haben. Dabei lassen wir hier offen, ob es für uns ein Problem ist, dass wir (s.o.) offensichtlich deutlich weniger Käferarten haben als die Amerikaner, und dies schon seit ewigen Zeiten. Grundsätzlich wird es für gut angesehen, viele Arten zu haben. Vorteilhaft ist es auch, über eine große genetische Vielfalt innerhalb der Art zu verfügen. Dies erhöht die Anpassungsfähigkeit und damit die Überlebenschance bei veränderten Umweltverhältnissen. Und es erhöht die Wahrscheinlichkeit von Heterozygotie beim einzelnen Lebewesen, was auch ihm eine höhere Vitalität verleiht.

Nun gibt es in Amerika eine Ameisenart, die dieses Gedankengut auf den Kopf zu stellen scheint. Die Argentinische Ameise (Linepithema humile) ist seit einigen Jahrzehnten dabei, nach Norden zu wandern. Sie hat bereits Teile auch Nordamerikas erobert, sich bis San Francisco ausgebreitet und eine große Zahl dort heimischer Ameisenarten dezimiert oder gar ausgerottet. Und dabei bezieht sie ihre offensichtliche besondere Durchsetzungskraft nicht etwa aus einer großen genetischen Vielfalt, im Gegenteil. Der Grund für den außerordentlichen Erfolg dieser Tierart ist nach neuesten Erkenntnissen zur Verblüffung aller Biologen ihre genetische Verarmung.

Man hatte festgestellt, dass die Argentinische Ameise nur in Nordamerika andere Ameisenarten ausrottete, in Südamerika dagegen nicht. Der erste Erklärungsansatz in solchen Fällen ist immer, dass der eingewanderten Art in der neuen Umgebung die natürlichen Feinde fehlen. Dieser Fall lag hier aber nicht vor, natürliche Feinde gibt es dort genügend. Man beobachtete etwas anderes. In ihrer argentinischen Heimat verhält sich die Ameise sehr aggressiv, auch gegenüber benachbarten Staaten derselben Art. Durch diese Aggressivität untereinander halten sich die Ameisen auf der südlichen Hälfte des Doppelkontinents zahlenmäßig in Schach. In Kalifornien jedoch sind sie gegenüber benachbarten Artgenossen genau so friedlich wie gegenüber Nestgenossen. Mitglieder anderer Arten werden jedoch gnadenlos überfallen, an ihnen – so sieht es aus – reagiert man sich ab.

In Südamerika besitzen die Ameisen in einem wichtigen Punkt eine hohe genetische Vielfalt, beim Körpergeruch nämlich. In Kalifornien dagegen besitzen sie alle für dieses Merkmal nur ein einziges Gen. Entstanden ist dies durch das unter Biologen so genannte Flaschenhalsphänomen, das wahrscheinlich bei Evolutionssprüngen in der Menschheitsgeschichte ebenfalls eine Rolle gespielt hat. Aus einer großen Population wandern nur wenige Individuen in ein von dieser Art bis dahin nicht bevölkertes Territorium, und die dort entstehende neue Population unterscheidet sich grundlegend von der Ausgangspopulation. Alle Linepithema zwischen San Diego und San Francisco erkennen sich am gleichen Geruch als Geschwister. Aus ihrer Sicht leben die Ameisen in einer gigantischen Superkolonie, die sich fast über den gesamten Staat Kalifornien ausdehnt. Will man dort also etwas für die bedrohten übrigen Ameisenarten tun, bietet es sich an, weitere Linepithema aus dem Süden zu holen. Das klingt ungewöhnlich, ist aber nicht ohne Logik.