Nr. 40 vom 07. Oktober 2000

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Die beiden Aussagen scheinen einander zu widersprechen: Einerseits gilt die Ernährung noch vor den Komplexen Rauchen und Infektionen als wichtigster Faktor für die Entstehung von Krebs. Andererseits werden Lebensmittel wegen einer kanzerogenen Wirkung als vergleichsweise harmlos eingestuft. Professor Dr. Gerhard Eisenbrand vom Institut für Lebensmittelchemie der Universität Kaiserslautern hat durch einen Aufsatz in einer pharmazeutischen Zeitschrift den scheinbaren Widerspruch aufgeklärt.

Zunächst zu den Lebensmitteln: "Wenn Produkte nach angemessenen Qualitätsstandards produziert und richtig gelagert werden, besitzen sie kein Krebs induzierendes Potential," so Eisenbrand. Deutlicher noch macht er es am Beispiel der Nitrosamine. So enthalten nach bestimmten Qualitätsmanagements produzierte Produkte laut Eisenbrand nur noch Spuren an Nitrosaminen. Nach Eisenbrands Erkenntnissen nimmt ein Deutscher durchschnittlich pro Tag rund 0,2 Mikrogramm Nitrosamine zu sich. 10 Mikrogramm gelten als unterer Grenzwert für eine nachweisbare kanzerogene Wirkung. Und in den 0,2 Mikrogramm sind sogar die wenigen Räucherschinken enthalten, die nicht unter den Regeln des modernen Qualitätsmanagements produziert wurden, sondern nach irgendwelchen weniger durchsichtigen Verfahren.

Entwarnung gab Eisenbrand auch für eine Reihe genau definierter Medikamente, und nun werden Sie sicherlich fragen "Was meint er dann?". Ja, er hat eine ganz bestimmte Stoffgruppe im Auge! Bei Eisenbrands dazu gemachten Ausführungen wird auch deutlich, warum sein Beitrag in einer pharmazeutischen Zeitschrift und nicht in einer Publikation aus der Lebensmittelbranche erschienen ist. Es geht ihm um alle möglichen importierten Kräutermischungen. U.a. unter dem Begriff "Traditionelle chinesische Medizin" (TCM) erfreuen sie sich in ganz Europa großer Beliebtheit. Eisenbrand: "Immer häufiger kommen auch in Deutschland fernöstliche Produkte auf den Markt, deren Zusammensetzung nicht bekannt ist und häufig auch noch starken Schwankungen unterworfen ist. Im Allgemeinen werden solche Produkte in ihren Herkunftsländern nur schlecht kontrolliert. Häufig entfällt sogar die Identitätsprüfung."

Wie fatal die Nachlässigkeit der Hersteller für die europäischen Verbraucher sein kann, zeigt ein Fall aus Belgien. Dort kam zu Beginn der neunziger Jahre eine Pflanzenmischung aus China in den Handel, die bei mehr als hundert Menschen eine Nephropathie (zu deutsch: eine starke Nierenschädigung) verursachte. Zusätzlich stellte sich bei der Untersuchung der Mischung heraus, dass die in ihr vorgefundene Aristolochiasäure ein starkes kanzerogenes Potential hat.

Vielen Menschen ist eben nicht klar, dass man nicht eine ganze Pflanze essen muss, wenn es einem nur um die Wirkung eines bestimmten gesund machenden Inhaltsstoffes der Pflanze geht. Die gesund machende Substanz lässt sich entweder sauber extrahieren oder auch chemisch identisch "nachbauen". Aber für die meisten Menschen ist das "Chemie" und sie wollen doch "Natur". Bei "Natur" bekommen sie dann Substanzen wie Aristolochiasäure mit geliefert, zumal wenn die Pflanzen bzw. Pflanzenmischungen aus zweifelhaften Herkünften stammen. Eisenbrand hat dazu aufgerufen, die TCM-Produkte stärker zu kontrollieren und deren Anhänger besser über die potenziellen Gefahren aufzuklären. Hinzufügen kann man einen Appell an alle, die es nicht lassen können, das Wort "Chemie" permanent zu problematisieren. Es fehlt den Menschen das Bewusstsein, dass es nicht auf "Chemie" oder "Natur" ankommt, sondern auf die Wirkung der einzelnen Stoffe und deren Wechselwirkungen, egal ob in der Natur produziert oder aus dem Labor stammend.