Nr. 34 vom 24. August 2002

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor: Dr. Hans Peter Stamp

Logisch ?

Für die Bauern war das Medieninteresse an den durch die Witterung verursachten Problemen in der Landwirtschaft wohltuend. Für die Leser der Zeitungen und die Menschen vor den Bildschirmen wurde deutlich, dass der Bauer in besonderem Maße von der Natur abhängig ist, weil er mitten in ihr wirtschaftet. Wenn die Natur nicht mitspielt, wird für ihn der berufliche Alltag zum Kampf, in dem er dann immer mehr oder weniger verliert. In den Medien kam es allerdings bei dem Blick in die Zukunft wieder zu einigen Übertreibungen. Es waren nicht die Journalisten selbst, denn z.B. die Überschrift "Experten warnen: Wetterchaos kommt jetzt jeden Sommer" haben sie sich nicht aus den Fingern gesogen. Um es genau zu sagen, sie haben Hartmut Graßl befragt. Vor kurzem noch waren wir alle davon überzeugt, dass das Wetter sich bestenfalls für fünf Tage voraus sagen lässt, nun soll es gleich für Jahre möglich sein.

Zum besseren Verständnis ein Blick in die Geschichte: Am 1. Mai 1315 begann eine der längsten Regenperioden in der Geschichte Schleswig-Holsteins. Vom 1. Mai bis zum Jahresende regnete es fast täglich. Sofern das Getreide überhaupt einigermaßen reif werden konnte, wuchs es auf den Feldern aus. Die Ernte wurde fast restlos vernichtet, und man "glaubte, es sei der dritte Teil der Menschen" gestorben. Auf den nässestauenden Böden kam es vielerorts zu lang andauernden Überschwemmungen. Die entstandene Krise wirkte noch drei Jahre lang nach; im folgenden Jahr setzte sich der Hunger fort, da nicht genügend Saatgut zu Verfügung stand, und auch im dritten Jahr starben überproportional viele Menschen, wohl wegen der nachwirkenden gesundheitlichen Schädigungen der Vorjahre und auch wegen der Schädigungen an den Böden, die noch keine normale Ernte wieder zuließen. Danach kamen andere Jahre mit anderen Problemen.

Was viele nicht wissen, der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 war nicht nur wegen der Kämpfe furchtbar; die Zahl der Gefallenen der gesamten dreißig Jahre wurde 1916 vor Verdun und 1943 in Stalingrad jeweils in wenigen Wochen erreicht. Seuchen und Hunger waren die Hauptplagen. Und eine der Ursachen des Hungers war die "kleine Eiszeit", die damals herrschte. Es gab vor und während des langen Krieges unnormal viele witterungs- bzw. klimabedingte Missernten. Gut 100 Jahre später war es über längere Zeit wärmer als heute. Wenn heute der Temperaturanstieg beklagt wird, geht es um Vergleiche mit der Zeit von 1890 bis 1900. Die meisten Temperaturzeitreihen sind auch nicht älter. Aber in Berlin-Dahlem misst man die Temperaturen seit 300 Jahren, die Klimaforscher sollten sich die dortigen Kurven einmal ansehen. Den Stand von heute hatten wir auch schon um 1760, dann nochmals gegen 1800 und beide Male über längere Zeiträume als jetzt, denn von 1955 bis 1990 hatten wir langfristig gesehen mittlere Temperaturen, die Kurve geht erst seit wenigen Jahren hoch.

Hätte man den Klimaforscher Graßl im Jahre 1760 oder 1810 befragen können, hätte er zu einer Aussage wie der jetzt getroffenen um ein Vielfaches mehr Grund gehabt. Im Nachhinein wissen wir, er hätte sich beide Male gründlich geirrt. Was verleitet Wissenschaftler zu so gewagten Aussagen? Das Verhaltensmuster ist klar: Zunächst wird ein Horrorszenario gezeichnet, dieses wird dann mit Hinweis auf eine noch zu geringe Datengrundlage ein wenig eingeschränkt und das Weitere liest sich in der Zeitung so: "Graßl forderte, dass für die Klimaforschung mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. Mit einem Bruchteil dessen, was der Sommer 2002 an Schäden verursacht habe, hätte die Klimaforschung schon viel weiter sein können." Es wäre nicht das erste Mal, dass unsichere Erkenntnisse zu höheren Preisen zu verkaufen sind als profundes Wissen, es muss nur der kleine Horrorkick dabei sein.