Nr. 41 vom 15. Oktober 1994

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

"Haben Sie gewusst, dass in der Landwirtschaft beim Ausbringen von Gülle bis zu 90 Prozent in die Luft verdunsten können?" Die Frage steht in einem Wahlkampfprospekt dieser Tage, formuliert von einer Bundestagskandidatin. Für den unkundigen städtischen Leser entsteht hier der Eindruck, dass 90 Prozent der Gülle bei der Ausbringung verloren gehen können. Das hat die Kandidatin sicherlich nicht gemeint. Ich nehme auch an, dass sie nicht einmal die Gesamtheit aller Nährstoffe gemeint hat, sondern nur den Stickstoff. Dabei handelt es sich um die Substanz, die für unsere Pflanzen zur Herstellung der Aminosäuren, der wichtigsten Bausteine des Lebens, gebraucht wird; die Aminosäuren, oder der übergeordnete Begriff Eiweiß, sind es auch, die zum Beispiel dem Mehl gute Backeigenschaften verleihen und es auch ansonsten qualitativ verbessern.

Es ist in der Tat nicht möglich, organische Düngemittel auszubringen, ohne gewisse Verluste an Stickstoff hinzunehmen. Beim Festmist gab es diese Verlustprobleme eher im Stall und bei der Lagerung, bei der Gülle gilt es zur Zeit der Ausbringung besonders aufzupassen. Und dies tun die Landwirte seit Jahren zunehmend und mit immer besseren Verfahren. Messwerte für Verluste liegen zwischen 20 und 70 Prozent des Stickstoffes. Die Landwirte sind daran interessiert, diesem nicht nur für die Pflanzen, sondern auch für ihr Portemonnaie wichtigen Stoff möglichst verlustfrei an die Pflanze zu bringen. Mit "bis zu" -Formulierungen kann man alles behaupten. Eine sachliche Information jedenfalls stellt dieser Wahlkampfprospekt nicht dar. Er dient selbstverständlich dazu, Wählerstimmen zu erreichen; muss das aber auf die Weise geschehen? Hier wird das alte Spiel getrieben: Die Landwirtschaft wird aus vordergründigen Motiven heraus zum Sündenbock gemacht. Das Schlimme daran ist, dass die Unsachlichkeit einer solchen Formulierung außer den Landwirten nur von sehr wenigen Menschen durchschaut wird. Die Kandidatin scheint im übrigen auch nicht zu wissen, dass die Ammoniumgehalte im Niederschlag über Schleswig-Holstein seit Jahren fallend sind, ein Anzeichen für die Verbesserungen in der Landwirtschaft.

Und noch eines scheint sie nicht zu wissen: Der Stickstoff, der sich in menschlichen Nahrungsmitteln befindet und in Verantwortung der Verbraucher als Speiserest, Speiseabfall oder menschliche Fäkalien anfällt, hat eine Verlustrate, die nicht im Bereich von 20 bis 70 Prozent liegt, die auch nicht "bis zu" 90 Prozent beträgt, sondern mit Sicherheit über 90 Prozent. Mit einem solchen Hinweis hätte die Bundestagskandidatin allerdings ihre Wähler verprellt und damit nicht deren Stimmen gewonnen. Einen Hinweis auf den Stickstoff in Verbraucherhand konnte man deshalb von ihr auch nicht erwarten.