Nr. 4 vom 28. Januar 1995

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Nach einer amerikanischen Untersuchung haben unsere Vorfahren vor der Einführung der Landwirtschaft in den gemäßigten Zonen 35 Prozent ihrer Kalorien aus Fleisch gewonnen. Das bedeutet, dass während des Großteils der Geschichte der menschlichen Art die Organismen auf den täglichen Verzehr von ca. 800 Gramm frischen Fleisches eingestellt waren. Das ist das Vierfache dessen, was wir heute an Fleisch verzehren. Darauf, so der Antrophologe Marvin Harris, sind die Menschen genetisch programmiert.

Nach Einführung der Landwirtschaft bei wachsender menschlicher Bevölkerung wurde häufig das Haustier zum Nahrungskonkurrenten des Menschen und musste sich entsprechend die Größe seiner Nische zuweisen lassen. In bestimmten Religionen entwickelten sich gar Verbote des Verzehrs bzw. der Tötung von bestimmten Tierarten.

Eine kleine Minderheit spricht sich auch in unserer Gesellschaft gegen die Tötung von Haustieren aus und für eine vegetarische Nahrung.

Derartige Meinungen sind selbstverständlich zu respektieren. Problematisch wird es nur, wenn aus ihnen Heilslehren für jedermann entwickelt werden. Stellen Sie sich ein derartiges generelles Tötungs- und Verzehrsverbot praktisch vor:

Ernährungsphysiologisch wäre bei einem völligen Verzicht auf Fleisch die Beibehaltung oder Ausdehnung des Verzehrs von Milch- und Eierprotein eine Mindestforderung. Hühner aber würden dann nicht nach Ende ihrer höchsten Legeleistung geschlachtet, sondern im Alter von 8 bis 12 Jahren einem natürlichen Tod überlassen. Damit würde die durchschnittliche Legeleistung stark absinken und die Zahl der zu haltenden Hühner ansteigen. Daneben gäbe es eine nutzlose Haltung von gleich vielen Hähnen aller Altersklassen. Vergleichbares würde auch bei Rindern eintreten. Wenn zum Beispiel in Schleswig-Holstein derzeit 500 000 Kälber pro Jahr geboren werden und zur Aufrechterhaltung der derzeitigen Milchproduktion die Zahl nicht gesenkt werden könnte, würden zur Haltung der dabei anfallenden männlichen und weiblichen Rinder Verhältnisse eintreten, die auszumalen, jegliche Phantasie versagt. Die Vorstellung, wir könnten alle Vegetarier werden, bricht als völlig unlogisch in sich zusammen.