Nr. 37 vom 16. September 1995

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

An dieser Stelle wurde schon darauf hingewiesen, dass bei unseren frühen Vorfahren der Fleischverbrauch drei- bis viermal so hoch war wie heute. Dieser Zustand bestand, solange unsere Vorfahren Sammler und Jäger waren und es eine Landwirtschaft nicht gab, also während des größten Teils der Menschheitsgeschichte, genauer gesagt, während einer Zeit von mehr als 99 Prozent der Menschheitsgeschichte. Denn bezogen auf die gesamte Zeit, seitdem es Menschen gibt, spielt die Zeit, in der es aus Gründen der zahlreicher gewordenen Bevölkerung Landwirtschaft gibt, eine absolut untergeordnete Rolle.

Vor diesem Hintergrund ist es schwer zu verstehen, wenn immer wieder von übermäßigem Fleischverbrauch in unserer Zeit gesprochen wird. Gerade in der Evangelischen Kirche ist dieses Schlagwort besonders weit verbreitet und wird dort letztlich zum wirtschaftlichen Schaden unserer Landwirte benutzt. Die meisten Landwirte leben unter anderem davon, dass sie Fleisch produzieren und können deshalb die Story vom angeblich übermäßigen Fleischverbrauch nur als Angriff auf ihre wirtschaftliche Existenz verstehen. Dies wäre anders, wenn es wirklich handfeste Argumente gegen die Höhe des derzeitigen Fleischverbrauches gäbe.

Es gibt zwar Argumente, sie werden aber zu völlig übertriebenen Bewertungen herangezogen. Selbstverständlich ist es im Hinblick auf den Energieverbrauch günstiger, weniger Fleisch zu verzehren. Dieses im Kern zwar richtige Argument wird aber in der allgemeinen Diskussion maßlos überzeichnet. Der angeblich so hohe Energieverbrauch für die Erzeugung von Fleisch nimmt sich im Vergleich mit Energieverbrauchszahlen im Verkehr relativ bescheiden aus. Wenn ein Urlauber mit dem Flugzeug nach Rhodos fliegt, entfällt auf ihn dabei ein Treibstoffverbrauch von rund 150 Litern. Mit 150 Litern Öl können unsere Bauern ihn aber mehr als zehn Jahre lang mit Fleisch versorgen. Würde ein Urlauber in jedem Jahr nicht nach Rhodos, sondern nach dem etwas näher gelegenen Mallorca fliegen, wäre allein durch diesen kleinen Verzicht der Energieaufwand für seinen jährlichen Fleischverbrauch mehr als ausgeglichen.

Nicht auszudenken wäre es, wenn in den Ballungszentren alle Menschen vom Gebrauch des Pkw auf den Gebrauch öffentlicher Verkehrsmittel umsteigen würden; wie unendlich viel Fleisch könnte man mit der dabei eingesparten Energie erzeugen?

Es lässt sich wirklich anderswo wirksamer Energie einsparen als beim täglichen Speisezettel. Selbstverständlich ist es richtig, dass wir unter ernährungsphysiologischen Aspekten mit etwas weniger Fleischverzehr auskämen. Das Beispiel Japans mit einem nur halb so hohen Fleischverbrauch beweist es schließlich. Aber warum sollen wir auf Fleisch verzichten, wenn es uns doch schmeckt. Der Energieeinspareffekt ist so gering, dass er für einen solchen Verzicht als Rechtfertigung wirklich nicht ausreicht. Bei anderen Bestandteilen des täglichen Speisezettels lassen wir uns doch auch nicht vom Energiespareffekt leiten.

Hierzu ein Beispiel, das vielleicht abwegig erscheinen mag, das aber gerade deswegen das Problem verdeutlicht: Bei den meisten Vitaminen nehmen wir mehr zu uns, als ernährungsphysiologisch notwendig ist. Bei einigen Vitaminen kommt noch hinzu, dass wir sie in anderer Form zu uns nehmen würden, wenn es nur um die Einsparung von Energie ginge. So könnte man die Versorgung mit Vitamin C durch synthetische Ascorbinsäure sichern und auf allen Flächen, auf denen gegenwärtig Zitrusfrüchte angebaut werden, Früchte mit höherem Energiegehalt anbauen. Denn der Energieertrag beim Anbau von Zitrusfrüchten ist gering. Beim Anbau von Oliven beispielsweise wäre er sehr viel höher und die Anbaubedingungen sind vergleichbar.

Wer diesen Vergleich voreilig als unsinnig bezeichnet, sollte sich des Risikos bewusst sein, dass vielleicht gerade seine Argumentation, den Fleischverbrauch unter Energieeinsparungsaspekten zu planen, unsinnig sein könnte.