Nr. 26 vom 28. Juni 1997

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Es ist so schwer zu verstehen, weshalb die Gentechnologie in fast allen Bereichen außerhalb der Landwirtschaft weitgehend selbstverständlich akzeptiert wird, in der Landwirtschaft aber - zumindest im deutschsprachigen Raum - umfangreicher Kritik ausgesetzt ist. Auch an dieser Stelle haben wir uns wiederholt mit dieser Frage beschäftigt. Dabei ging es u.a. um das als selbstverständlich empfundene Verfahren, mit dem aus Kleinlebewesen, denen man menschliche Gene eingepflanzt hat, menschliches Insulin gewonnen wird, das Diabetiker sich täglich spritzen. Die unterschiedliche Akzeptanz im Vergleich mit gentechnologisch veränderten Nahrungsmitteln wird gerne damit erklärt, dass im Falle des Insulins die Not und Betroffenheit des Einzelnen eine andere Ausgangsvoraussetzung ist als bei Nahrungserzeugung für alle, die zudem auch ohne Gentechnologie betrieben werden könnte.

An diesem Erklärungsansatz ist sicherlich etwas dran. Er reicht aber nicht aus um die Besonderheiten in der Akzeptanz alle zu erklären. Nehmen wir uns hierzu einmal ein anderes Beispiel vor, bei dem von Not und Betroffenheit des Einzelnen nicht gesprochen werden kann, übrigens ein wissenschaftlich auch sehr interessantes Beispiel:

Das Bakterium Alcaligenes eutrophus hat die Fähigkeit in seinem Inneren Polymere einzulagern, die es als Energiespeicher für seinen Stoffwechsel nutzt. Theoretisch handelt es ich dabei um Stoffe, die sich vorzüglich als Rohstoffe für die Produktion von Kunststoffen eignen würden. Mit Alcaligenes eutrophus gibt es allerdings einige Probleme:

- Es ist nur schwer zu knacken, und damit sind die Polymere nur schwer zu extrahieren.

- Es verbraucht die Polymere fast ebenso kontinuierlich, wie es sie produziert, so dass man keine lohnenden Mengen erhält.

- Es ist schwer zu züchten und stellt hohe Anforderungen an das Nährmedium.

Nun gibt es Bakterien, die mit diesen Problemen nicht behaftet sind. Die Rede ist von Escherichia coli. Mit Polymeren beladene Colibakterien sind sehr zerbrechlich, und sie können die Polymere nicht verwerten, würden sie also in sich anreichern, wenn sie sie denn produzieren könnten. Hier setzt jetzt die Gentechnologie an. Man pflanzt den Colibakterien Kopien von Erbsubstanz aus Alcaligenes eutrophus ein und gewinnt so die Möglichkeit, in großen Mengen die gewünschten Polymere zu erzeugen. Setzt man ihnen verschieden lange Mehrfachkopien ein, kann man sogar ganz verschieden lange Polymere gewinnen, sozusagen nach Maß. So besteht die Perspektive zur Herstellung der Rohstoffe diverser Kunststoffe, die sämtlich eine ausgezeichnete biologische Abbaubarkeit haben.

Ein großer Vorteil von Escherichia coli steckt schließlich noch darin, dass es so anspruchslos ist. Es wächst in allen möglichen kohlenstoffhaltigen Nährlösungen. Von der Molke über weitere Nebenprodukte der Landwirtschaft bis hin zu Abfällen sagt ihm fast alles zu. In verschiedenen Zeitschriften ist dieses Verfahren, das bald praxisreif sein wird, bisher beschrieben worden. Auf Kritik stieß es bisher kaum. Bei der Allgegenwart von Escherichia coli müssten diejenigen, die bei transgenem Raps Sorgen wegen der Auskreuzung äußern, eigentlich mit denselben Bedenken kommen, sie tun es aber nicht.

Vielleicht war es auch nur ein Fehler bzw. eine Ungeschicklichkeit, im landwirtschaftlichen Bereich mit gentechnisch veränderten herbizidresistenten Pflanzen zu beginnen. Bestimmte Gruppen von Kritikern wird man damit förmlich herausgefordert haben. Hätte man z.B. mit Polymeren aus Escherichia coli begonnen, hätte man unter Umständen auf derselben positiven Argumentationswelle schwimmen können, wie bei den Nachwachsenden Rohstoffen insgesamt, und dazu noch neue Perspektiven zur Reststoffverwertung bieten können.