Nr. 38 vom 20. September 1997

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

"Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann!"

Sie alle kennen diesen Spruch, der als "Weissagung der Cree" in einer Rede des Indianerhäuptlings Seattle vorgekommen sein soll und der heute auf Aufklebern Autos hierzulande ziert. Er verdichtet auf eineinhalb Zeilen das Klischee vom schlimmen Europäer, der nichts anderes im Sinn hat, als die Umwelt zu zerstören und vom edlen Wilden, der uns als Vorbild hingestellt wird.

Die weisen Indianer, sanften Südseeinsulaner und andere edle Wilde entspringen aber leider mehr europäischen Wunschphantasien als der Realität. Die tausendfach zitierte Rede Seattles stammt in Wirklichkeit aus der Feder des amerikanischen Drehbuchautors Ted Perry, der sie in den 70er Jahren für einen Film über Umweltschutz verfasst hat. Seattles rote Brüder benahmen sich wie die Axt im Walde. Der Anasazi-Stamm, der im heutigen New Mexiko lebte, baute riesige fünfstöckige Wohnhäuser: hundert Meter lang und hundert Meter breit. Der Bau- und Brennholzbedarf der Anasazis verwandelte die ehemals bewaldete Region in eine Wüste. In der Gegend des heutigen Illinois rotteten indianische Jäger schon zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts die Schwarzbären aus, deren Fett als Delikatesse betrachtet wurde. Maultierhirsch, Rentier, Wapitihirsch und Elch wurden bis an den Rand ihrer Existenz gedrängt.

In dem Buch "Amerika 1492" von Alvin M. Josephy lesen wir auf S.31: Auch bei den Indianern Nordamerikas war es durchaus üblich, Flächen durch Abbrennen zu roden. Als die Polynesier etwa 400 nach Christus die Osterinseln besiedelten, waren auch diese reich bewaldet. Um Ackerland zu gewinnen und zum Kanubau fällten sie jeden Baum. Ihre Gesellschaft brach schließlich in einer Hölle aus Hunger und Kannibalismus zusammen.

Glauben sie nicht die Geschichten, wonach die Indianer jedes Tier bis zum letzten Haar verwerteten und die strahlenden Vorbilder in Sachen Kreislaufwirtschaft waren. Auf Seite 70 des Buches von Josephy liest man etwas über eine eigenartige Verschwendung von Fleisch, die das genaue Gegenteil von Ressourcenschonung ist. Am Nass - River gibt es den Kerzenfisch, einen kleinen, extrem ölhaltigen Fisch. Früher wurden dort die Fische mit großen, trichterförmigen Netzen gefangen, und an Land in große Gruben gekippt, wo sie blieben, bis sie verwest waren. Dann begann der Prozess der Ölgewinnung. Die verwesten Fische wurden in große mit Wasser gefüllte Kisten gelegt. Man fügte heiße Steine hinzu, um das Wasser zum Kochen zu bringen. Daraufhin setzte das Öl sich an der Wasseroberfläche ab und ließ sich leicht abschöpfen. Beim Abkühlen verdickte es zu Fett, und die Indianer nutzten von den Fischen nur dieses Fett, obendrein unter Verwendung von reichlich Brennholz.

Die Ojibwa-Indianer erlegten selbst trächtige Hirschkühe, verwundetes Wild ließen sie mitleidlos verenden und quälten die Tiere sogar absichtlich. Wer als Tourist im heutigen amerikanischen Südwesten Rinder sieht, die auf kleinen Lastwagen so dicht gedrängt werden, dass keine Hand mehr dazwischen passt, und die Tiere die Hälse steil nach oben recken, um überhaupt Luft zu bekommen, kann sicher sein, dass er im Indianerreservat ist. Kaum irgendwo findet man so viele liegengelassene Autowracks wie an der Straße von Desert View nach Page. Würde die Umweltfreundlichkeit den Indianern so tief im Blut sitzen, wie Ted Perry uns weismachen will, sähe es dort vermutlich anders aus. Perry und seine Kollegen benutzen die Indianer lediglich, um uns ein schlechtes Gewissen einzuimpfen, an dem sie dann gut verdienen.