Nr. 40 vom 4. Oktober 1997

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Im Oberharz sieht es teilweise schlimm aus. Dort, wo man bis zur Wende im Jahre 1989 nicht hingehen durfte - von Torfhaus auf den Brocken -, ist zwar jetzt der Zugang frei.

Wer allerdings von der Natur auch eine ästhetische Komponente erwartet, fühlt sich dort nicht mehr wohl. Baumgerippe säumen den Weg und zeugen von einer eigenartigen Philosophie des Naturschutzes. Das Gebiet unterliegt der krassen Entscheidung, dass Borkenkäfer außer mit einigen Alibifallen nicht bekämpft werden dürfen, auch nicht dadurch, dass man die befallenen Bäume herausnimmt. Und zu allem Überfluss werden die Bäume auch noch Jahre nach ihrem Absterben stehen gelassen. So manches Baumgerippe könnte dort heute noch grüne Blätter oder Nadeln tragen, wenn man befallene Exemplare in der Nachbarschaft rechtzeitig beseitigt hätte.

Hier werden Flächen vollständig der Natur überlassen, obgleich sie alles andere als einen natürlichen Charakter haben. Die Schadstoffe der Luft und eine naturferne Waldbewirtschaftung hatten Verhältnisse geschaffen, die dem Borkenkäfer in Form geschwächter Bäume eine leichte Beute boten. Wäre es nicht besser gewesen, die Flächen durch wohlüberlegtes Management langsam in einen naturnäheren Zustand zu überführen? Womöglich hätte man dann wirklich irgendwann einen so stabilen Zustand erreicht, dass die totale Überlassung an die Natur sinnvoll sein könnte.

Die Sache hat daneben auch noch eine ökonomische Seite: Wir müssen ein reiches Land sein, wenn wir es uns leisten können, einstmals derart stattliche Bäume ungenutzt verkommen zu lassen. Aber wir können das Holz ja importieren mit allen Diskussionen, die sich um diese Alternative ranken, von den Umweltbelastungen durch Transporte bis zur Waldvernichtung, wenn das importierte Holz nicht aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammt.

Auch im Bayerischen Wald sieht es so aus, dass in einer Illustrierten jüngst die Überschrift zu lesen war: "Aushängeschild Bayerischer Wald kippt um". Während man aus den Waldschadensberichten daran gewöhnt ist von geschädigten Anteilen in der Größenordnung von 30 - 40% zu lesen, ist im Bayerischen Wald die Aussage: "Nach der letzten Hochlageninventur sind im Bereich des Nationalparks 54% der Hochwaldbäume tot".

Lokale Politiker und Bürgerinitiativen hatten sich jahrelang vergeblich um eine Borkenkäferbekämpfung bemüht. Sowohl die Nationalparkverwaltung als auch die Bayerische Staatsregierung waren bis vor kurzem kategorisch nicht bereit, etwas gegen den "Käfer" zu unternehmen. Ein angekündigter gewisser Sinneswandel ist bezüglich seiner Auswirkungen noch abzuwarten. Hätte man den Borkenkäfer bekämpft, wäre der internationale Nationalparkstatus verloren gegangen. Es ging also nicht vorrangig um die Natur, sondern um einen bestimmten Status. Dies ist ein Lehrstück für diejenigen, die internationale Anerkennungen für bestimmte Gebiete sammeln, wie andere Leute Briefmarken.

Und noch ein Verdacht kommt dem enttäuschten Wanderer, der von einem Jahr zum nächsten die Gegend nicht wiedererkennt. Er sieht, dass dort, wo das Bild am trostlosesten ist, - im Harz kurz vor der früheren innerdeutschen Grenze - Schilder mit langen Anklagekatalogen gegen die wirklichen und die vermeintlichen Verursacher stehen. Die Landwirtschaft darf unter den Angeklagten natürlich nicht fehlen, auch mitten im Harz nicht, wo es weit und breit keine Landwirtschaft gibt.

Eines dürfte sicher sein: an dem Bild, wie es sich dort darbietet, sind diejenigen, die die Schilder aufgestellt haben, mindestens ebenso schuld wie die von ihnen angeklagten. Soll hier vorrangig schlechtes Gewissen erzeugt werden? Er ist wohl nicht ganz abwegig, der Gedanke, den ein Wanderer dort äußerte: "Hier wird die Natur zur Geisel des Naturschutzes!"