Nr. 44 vom 1. November 1997

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Grasdächer bieten viele ökologische und andere Vorteile und sind deshalb mächtig im Kommen. Den Bewohnern der unter ihnen befindlichen Häuser geben sie das Image besonderer Umweltfreundlichkeit und hübsch anzusehen sind sie, wo sie hinpassen, meistens obendrein. Die Bewohner müssen sich zwar die eine oder andere Neckerei, wie z.B. die mit den Hangziegen, anhören, aber insgesamt erhalten sie besondere Anerkennung.

Technologisch sind die Grasdächer zwar eine Kopie uralter Bauweisen, wie überhaupt viele der überzeugenden Naturschutzmaßnahmen Kopien archaischer Nutzungsformen sind. Da sie aber heute anders gebaut werden als vor Urzeiten, sind die Dächer auch technologisch in einigen Punkten als Neuheiten anzusprechen. Neue Technologien pflegen, das ist nichts Besonderes, in ihrer Entwicklungsphase das eine oder andere Problem zu bereiten. Von bewachsenen Dächern verlangt man heute, dass sie dauerhaft wasserdicht sind. Womit wird das erreicht?

Mineralische Stoffe wie Ziegel und Pfannen scheiden aus, da die Überdeckungen undicht sind. Auch metallische Deckungen sind auf Grund ihrer Starrheit und Längenänderung ungeeignet. es ergeben sich Risse.

Nur flexible Abdichtungen können eine absolute Wasserdichtigkeit und dauerhaften Wurzelschutz genießen. Alle flexiblen Dichtungen aber sind chemisch gesehen organischer Natur. In der Praxis geht es um Produkte der Chemie mit komplexen Molekularstrukturen, weil diese eine wichtige Eigenschaft besitzen. Alle organischen Stoffe nämlich sind potentiell Futter für Kleinlebewesen, von denen sie angenagt und letztlich zersetzt werden. Komplexe Molekularstrukturen aber haben den Vorteil, den Angriffen der Zersetzer Probleme zu bereiten.

Man kann daraus das Motto ableiten:

Wer unter dem Grasdach lebt, kann kein fundamentaler Gegner der Chemie sein !

Nun reichen die Dichtungsbahnen mit komplexen Molekularstrukturen allein aber nicht aus. Mit der Zeit werden auch sie angenagt und es regnet durch. So werden den Dichtungsmaterialien bestimmte Chemikalien beigemischt. Dabei geht es u.a. um Stoffe auf Schwermetallbasis, an denen die Kleinlebewesen sich vergiften. Wenn zwei das gleiche tun, ist es eben nicht immer das gleiche. Wer sein Dach chemisch vor Kleinlebewesen schützt, gehört zu den Ökofreaks. Wer das gleiche bei Kulturpflanzen tut, wird von eben diesen Ökofreaks heftig kritisiert.

Es geht hier zweimal um Stoffe mit biocider Wirkung und auf dem Dach sogar unter Beteiligung von Schwermetallen, und dennoch haben sie eine total unterschiedliche Presse.

Übrigens, so ganz neu ist das Dichtungsproblem auf dem Dach technologisch nicht. Früher hatte man es auch bei den weit verbreiteten Pappdächern. Man verwendete Teerpappen, weil im Teer die Wirkstoffe Cadmium und Arsen den Angriff der Mikroben abwehrten. Solche Dächer hielten bis zu 100 Jahren. Cadmium und Arsen sind heute meist nicht mehr im Spiel. Heutzutage geht es "nur" um Zink. Wenn irgendwo in Abwässern überhöhte Zinkwerte gefunden werden, sind die Grasdächer beteiligt. Dies soll kein Argument gegen Grasdächer sein, es soll nur dazu anregen, sich niemals den Blick für eine umfassende nüchterne Urteilsfindung verstellen zu lassen. Niemals auch sollte man sich durch Schlagworte wie "Schwermetalle" oder "Pestizide" zum schablonenhaften Denken verleiten lassen.