Nr. 19 vom 9. Mai 1998

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

 

Es wird höchste Zeit, dass viel mehr Menschen die 1992 in Rio de Janeiro verabschiedete AGENDA 21 (nicht zu verwechseln mit der Brüsseler AGENDA 2000) lesen. Sie ist wirklich ein hervorragend ausgearbeitetes Rezept zur Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts. Es sind in diesem Dokument die zukünftigen Ansprüche der Umwelt sauber herausgearbeitet, streng definiert und geregelt; soweit es um die Landwirtschaft geht ist z. B. Integrierter Landbau so gründlich wie möglich anzustreben. Aufwendungen an Chemikalien sind zu optimieren, für den Normalfall heißt das: bei steigenden Erträgen so gut es geht zu minimieren.

Andererseits werden auch klar die Ansprüche einer sich in den nächsten 50 Jahren noch einmal verdoppelnden Erdbevölkerung beschrieben: Die Nahrungsproduktion ist mengenmäßig zu verdoppeln und wörtlich "die Landwirtschaft muss intensiviert werden". Dafür werden neben integriertem Pflanzenschutz und integrierter Düngung vor allem auch modernste Methoden propagiert. Eines der ausführlichsten Kapitel ist der Biotechnologie und der Gentechnologie gewidmet. Ja, es handelt sich wirklich um ein fortschrittliches Dokument.

Bisher wurde es nur von allzu wenigen gelesen.

Viele haben gehört, dass es in der AGENDA um das Prinzip der Nachhaltigkeit geht. So reden sie denn über das, was sie selbst bisher unter Nachhaltigkeit verstanden haben, und tun so, als redeten sie über die AGENDA. In bestimmten Kreisen wird deshalb das Interesse an dem Dokument von Rio in dem Maße abnehmen, wie die Kenntnisse über den Inhalt steigen. Am Ende werden nur diejenigen die AGENDA vorantreiben, die den Zukunftsproblemen unserer Erde verantwortungsvoll und mit Ernst begegnen. Sie werden sich dann heftig mit bestimmten Teilen der Ökoszene auseinandersetzen müssen, die heute noch Lobreden auf die AGENDA halten, ohne sie gelesen zu haben und die meinen, die AGENDA für ihre ideologisch geprägten Ziele verwenden zu können. Zur Bekämpfung von Umweltproblemen enthält die AGENDA Handlungsanweisungen, die in ihrer Konsequenz für viele Leute in unserem Lande erhebliche Überraschungen beinhalten. Bevor wir uns eines der interessantesten Beispiele hierzu herausgreifen, muss aber, um Irrtümer zu vermeiden, eines klargestellt werden: Wir können es uns als Land mit ausreichender Nahrungsmittelversorgung leisten, Flächen aus Naturschutzgründen zu vernässen. Und eben aus diesen Naturschutzgründen heraus sollten wir es hier und dort auf der Basis von Freiwilligkeit und bei finanziellem Ausgleich auch wirklich tun. Nur eines muss man wissen, dies ist ein Verstoß gegen die AGENDA 21! In Rio wurde vereinbart, dass die Bodendegradation als das größte Umweltproblem anzusehen ist. Erosion, Vernässung und Versalzung sollen mit Programmen bekämpft werden. Vor diesem Hintergrund dürfte die geplante Vernässung nachhaltig landwirtschaftlich nutzbarer Flächen kaum kompatibel sein.

Hoppla, war dort eben von Deutschland als einem Land mit ausreichender Nahrungsmittelversorgung die Rede? Wir haben zwar eine seit Jahrzehnten ausreichende Nahrungsmittelversorgung, dies aber nur mit Hilfe der deutschen Kaufkraft. Im Saldo aller menschlichen Nahrungsmittel haben wir nur eine Eigenversorgung von 85%. Deutschland ist der zweitgrößte Nettoimporteur von Nahrungsmitteln auf der Welt. Nur unsere Kaufkraft ermöglicht also den so vielfältig gedeckten Tisch. Stellen wir jetzt wieder die Verbindung zu dem eben erwähnten Verstoß gegen die AGENDA 21 her: Die aus Naturschutzgründen hier und da erwünschte Vernässung oder anderweitige Nutzungsaufgabe bzw. Extensivierung bisher intensiv landwirtschaftlich genutzter Flächen wird dadurch ermöglicht und im Hinblick auf die AGENDA überhaupt erst vertretbar, dass unsere Wirtschaft bislang so gut funktioniert und Kaufkraftüberschüsse produziert. So eng hatten sich viele den Zusammenhang zwischen dem Funktionieren unserer Industriegesellschaft und dem Naturschutz wohl nicht vorgestellt?