Nr. 34 vom 22. August 1998

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Mitteleuropa ist von Natur aus ein Waldland, so die herrschende Meinung unter den Ökologen. Es gibt zwar auch unter Ökologen die Ansicht, in früheren Zwischeneiszeiten hätte die Landschaft bei uns so ähnlich ausgesehen wie in der ostafrikanischen Savanne, aber folgen wir doch der herrschenden Meinung. Danach fehlte vor dem Eingreifen des viehzüchtenden und ackerbauenden Menschen der Wald nur an extremen Standorten. Dort, wo es für Baumwuchs im Tiefland zu nass, im Hochgebirge zu kalt, an Küsten und lokal im Binnenland zu salzig war. Die Trockengrenze des Waldes wird in unserer Region nicht erreicht.

In dieses System hat der Mensch tief eingegriffen. Und durch dieses Wirken des Menschen ist die Pflanzendecke Mitteleuropas insgesamt viel artenreicher geworden. Hunderte von Pflanzenarten in unserer Region müssen als Kulturfolger angesehen werden, denen erst die vom Menschen geschaffenen Standorte eine ökologische Nische boten. Für das Gebiet der Bundesrepublik, nennt der Freiburger Biologe Prof. Hans Mohr eine Zahl von rund 2.660 Gefäßpflanzenarten. Nur ein Viertel dieser Arten sei auf Waldstandorte angewiesen, die Hälfte wachse typischerweise auf den vom Menschen waldfrei gehaltenen Standorten, die restlichen Arten verteilten sich auf die von Natur aus waldfreien Gebiete. Auch die Tierwelt, so Mohr, habe von der Umgestaltung der Landschaft profitiert. Mehr als ein Viertel der etwa 230 Brutvogelarten in unserem Lande seien als Kulturfolger nach Mitteleuropa gekommen. Das Beispiel des Weißstorches ist uns in dieser Hinsicht geläufig, er wanderte im Hochmittelalter in unsere Region ein.

Aus den Zahlen von Mohr ergeben sich durchaus aufregende Schlussfolgerungen: Würde es z.B. den Menschen in Mitteleuropa irgendwann einmal nicht mehr geben, würde sich, wenn auch über einen sehr langen Zeitraum, vermutlich die Landschaft so entwickeln, dass frühere Walddichten wieder entstehen würden. Nach Mohrs Zahlen müsste das einhergehen mit einem Rückgang der Gefäßpflanzenarten um die Hälfte. Eines kann man daraus wohl als sicher ableiten: "Natürliche" Verhältnisse bedingen eine im Zweifel geringere Artenvielfalt, als das, was der Mensch in unserer Kulturlandschaft geschaffen hat. Diese Erkenntnis allein ist noch kein Rezept für effektiven Naturschutz. Bevor man derartige Rezepte entwickelt, muss man zunächst Ziele formulieren. Ein mögliches Ziel wäre die Wiederherstellung natürlicher Verhältnisse. Die Verwirklichung dieses Zieles allerdings würde mit dem Artendenken in Prozentzahlen, wie es in unseren Tagen verbreitet ist, nicht vereinbar sein (siehe oben).

Ein anderes Ziel könnte es sein, die höchstmöglichen Artenzahlen in einer Kulturlandschaft wiederzubekommen oder zu erhalten. Daraus ließe sich durchaus ein brauchbares Naturschutzkonzept ableiten. Wir müssten uns dann nur so verhalten, wie es die Menschen taten, als die höchstmöglichen Artenzahlen noch gab, z.B. vor 100 Jahren. Dabei geht es dann um die Kopie alter Nutzungssysteme. An dieser Stelle lässt sich das nicht in Einzelheiten diskutieren. Aber eines dürfte klar sein, es läuft auf Vertragsnaturschutz mit der Landwirtschaft hinaus.

So, wie im Augenblick die Kieler Landesregierung mit diesem Thema umgeht, sieht es aber wohl trübe aus. Nicht nur, dass sie für diesen Zweck kein Geld hat und eine Verwirklichung des Vertragsnaturschutzes deshalb nur durch eine Zweckentfremdung von Mitteln aus der Grundwasserentnahmeabgabe als möglich erscheint; die Landesregierung zeigt auch inhaltlich die kalte Schulter. Die derzeit vorliegenden Vertragsmusterentwürfe sind aus Sicht der landwirtschaftlichen Praxis wirklich nicht der große Wurf. Bezeichnend war es auch, dass das Umweltministerium jüngst zu einer Veranstaltung über Vertragsnaturschutz im Wald auf die Einladung der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald nicht einen Vertreter entsandte.