Nr. 2 vom 16. Januar 1999

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Der Direktor des European Science and Environment Forums, Roger Bate, tat einmal einen Ausspruch, der dem ersten Eindruck nach widersprüchlich zu sein scheint: "Vorsicht ist das größte Risiko." Dieser Ausspruch ist in der jüngsten Zeit oft zitiert worden, und zwar bevorzugt im Zusammenhang mit der Bonner Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998.

Dort heißt es nämlich am Ende eines Absatzes mit der Überschrift "Aufbruch für Innovation und Qualifikation" wie folgt: "Wir werden alles daran setzen, mögliche Risiken einzudämmen und zu vermeiden." Vor dem Hintergrund, dass Chance und Risiko sich üblicherweise die Waage halten, kann man den Satz auch umdrehen: "Wir werden alles daran setzen, mögliche Chancen einzudämmen und zu vermeiden."

Vielleicht ist diese Satzumdrehung ein übertriebener Versuch zur Verdeutlichung. Aber sie macht immerhin einiges klar und lässt den Ausspruch von Roger Bate zum zweiten Eindruck in einem anderen Licht erscheinen. Verantwortlicher Umgang mit Risiken verlangt Überlegung und Abwägung: Welches Risiko kann entstehen und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es eintritt? Und welcher Nutzen steht möglichen Nachteilen gegenüber? Roger Bate kommt zu dem Fazit: "Als Gesellschaft können wir zwischen ,Versuch und Irrtum‘ oder ,Versuch ohne Irrtum‘ auswählen. Neue Technologien zu verbieten, unterbindet sicherlich mögliche bedrohliche Auswirkungen. Aber ohne den Versuch einschließlich des möglichen Irrtums gibt es keine weitere Entwicklung. Vorsichtsmaßnahmen, die den Entwicklungsprozess anhalten, sind das größte Risiko, dem wir uns stellen können." So wird noch deutlich, was Bates mit seinem eingangs zitierten Ausspruch meinte.

Das Institut für Landwirtschaft und Umwelt (ilu) verweist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeiten, die modernen Technologien einschließlich der Gentechnologie auch und gerade für die nachhaltige und wettbewerbsfähige Entwicklung der Landwirtschaft in Deutschland bieten. Das ilu wörtlich: "Die neue Bundesregierung wird sich auch daran messen lassen müssen, wie stark sie den beschworenen ,Aufbruch für Innovation‘ fördert – oder mit der Philosophie eines ,Null-Risikos‘ dauerhaft aushungert. Am Beispiel des Ausstiegs aus der Nutzung der Kernenergie, zu deren Vor- oder Nachteilen sich zu äußern hier nicht der Platz ist, haben wir vielleicht eine Kostprobe davon bekommen, wie die Praxis zwischen den beiden Koalitionspartnern aussehen könnte. Die eine Seite will es auf Biegen und Brechen und will augenscheinlich durch die vereinbarten Texte nicht nur die Ruhigstellung des eigenen grünen Fußvolkes betreiben. Die andere Seite hat auch viele Leute in ihren Reihen, deren Ruhigstellung als opportun angesehen wird. In der Spitze will sie das, was in den Texten steht, aber nicht wirklich, und der Bundeskanzler zeigt bei der Kernenergie, dass er die Stillegung der Kraftwerke zeitlich außerhalb seiner politischen Lebenserwartung legt." Sollte es so sein, gibt es keinen Grund zur Entwarnung; denn, warum müssen die Dinge so kompliziert gemacht werden? Wie gesagt, zur Kernenergie wollen und können wir uns nicht äußern. Sie wurde hier nur erwähnt, weil an ihr das Koalitionsdilemma

zuerst besonders deutlich wurde. Zur Gentechnologie aber können wir denjenigen, die den "Aufbruch für Innovation und Qualifikation" wirklich wollen, einen Tipp geben: Erinnert doch die Gegenseite an ihre eigenen Bekenntnisse zur Agenda 21! In der Agenda gibt es eine uneingeschränkt positive Haltung zur Gentechnologie in der Landwirtschaft. Und da wären wir nochmals bei der Nutzung der Kernenergie, zu diesem Thema trifft die Agenda 21 ebenso wie wir keine Aussagen. Um so glaubhafter dürften die Bekenntnisse der Agenda zur Gentechnologie sein: Wo die Risiken überwiegen könnten, hält man sich zurück. Wo bestimmte Chancen aber nicht ausgelassen werden dürfen, wird sich klar geäußert.