Nr. 43 vom 30. Oktober 1999

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

In beinahe jedem Lebensmittel lauert Gefahr." Das sei die Botschaft scheingelehrter Ernährungsweisheiten, bei denen gesundheitsbewussten Menschen der Bissen im Halse stecken bleibe, so war es jüngst im "stern" zu lesen. Jetzt aber komme

Widerstand auf - und Appetit. Ja, Sie haben richtig gelesen, im "stern" stand es. Die Zeitschrift, die noch vor gar nicht langer Zeit zur Spitzengruppe derer gehörte, die mit erfundenen oder übertriebenen "Lebensmittelskandalen" ihre Auflagen erhöhten, hat jetzt mit einem Artikel unter der Überschrift "Ohne Reue genießen" für dortige Verhältnisse echtes Neuland betreten. In fast endloser Folge werden in dem Artikel Sensationsüberschriften der Vergangenheit aneinandergereiht wie z.B. "Grillfleisch erregt Krebs" oder "Studie beweist: Schon eine Prise Salz gefährlich" oder auch gegenteilig "Salzreiche Kost offenbar unschädlich". Vermutlich stammt ein großer Teil davon aus den eigenen Beständen. Jetzt aber, und da wird Wolfgang Siebeck zitiert, fallen sie über diese Überschriften gnadenlos her. Von derlei Hiobs- oder Heilbotschaften nähre sich eine typische Mentalität, heißt es, und die wird dann so beschrieben: "Wir leben immer länger, ängstigen uns aber um so mehr vor Tod und Verderben. Und wer trachtet uns nach dem Leben? Die Kalorien sind es, der Rinderwahnsinn, der Zucker, das weiße Mehl, der schwarze Kaffee, die Genforschung, Schweinemäster...".

In den Augen der Zeitgenossen sei Essen entweder Medizin oder Gift. Jede Ähnlichkeit mit einem Genussmittel sei rein zufällig und nicht beabsichtigt, heißt es sarkastisch weiter. Wer die früheren Artikel dieser Blätter noch in Erinnerung hat, mag es kaum glauben. Ob man sich beim "stern" schon einmal Gedanken darüber gemacht hat, wie viel Geld unsere Rindfleischerzeuger allein wegen der Berichterstattung dieses Blattes zum Rinderwahnsinn verloren haben? Jetzt aber werden diejenigen, die früher den Rinderwahnsinn als Risiko hinstellten, regelrecht verhohnepipelt.

Man könnte sich darüber freuen, wenn die alten Erinnerungen nicht wären. Oder sollen wir einfach alles vergessen, was wir früher lesen mussten, und uns jetzt doch nur freuen? Sie zitieren jetzt reihenweise Forschungsresultate, wonach Zusammenhänge zwischen Krebs und Fleischverzehr sich entweder gar nicht oder nur bei sehr hohen Verzehrsmengen beweisen ließen. Haben sie diese Quellen zufällig gerade in jüngster Zeit auf den Tisch bekommen? Wussten sie vorher nichts davon? Oder lagen diese Quellen in der Schublade mit dem Etikett "Positiv" und wurden nicht gebraucht, solange sich mit den Schreckensmeldungen mehr Geld machen ließ? Sie bezeichnen die bisherigen angeblichen Nachweise eines Zusammenhanges zwischen Ernährungsgewohnheiten und einzelnen Krebsarten jetzt als "Müll" oder als "ziemlich wackelig", wobei sie einen Ernährungswissenschaftler zitieren. Haben sie diesen Mann jetzt erst kennen gelernt oder lag dessen Aussage auch schon länger in der besagten Schublade?

Jetzt machen sie sich lustig über fast jede Art von Ernährungsempfehlung. So sei es in Frankreich üblich, 60 Gramm Alkohol pro Tag als Höchstmenge zu empfehlen, in Schweden seien es sieben Gramm. Die britische Regierung empfehle ein Ei pro Woche, die britische Herzgesellschaft vier und die Weltgesundheitsorganisation zehn. "Essen soll Spaß machen, dann dient es der Gesundheit am meisten," so wird eine Ernährungswissenschaftlerin zitiert. Ein ziemlich alter Hut ist das und auch die Empfehlung, möglichst viel verschiedenes zu sich zu nehmen. Und dennoch sollten wir uns freuen, das jetzt auch im "stern" lesen zu können.