Agenda 21, ein Rezept für private Initiativen

Vortrag von Dr. agr. Hans Peter Stamp

beim Lions Club Rendsburg-Königsthor

am 24. Juli 2001 19.30 Uhr

im Rendsburger Pelli-Hof

Gliederung:

1 Seit 1996 läuft die Diskussion bei uns *

2 1992 in Rio de Janeiro *

2.1 Agenda 21 *

2.2 Der Aufbau der Agenda *

3 Eine Fülle von Mißverständnissen *

3.1 Die Auftaktveranstaltung vom Herbst 1996 *

3.2 Rot-Grün besetzt das Thema auf sachfremde Weise *

3.3 Kein Sammelsurium, aus dem man alles herauslesen kann *

4 Zunehmende Betonung des kommunalen Bereichs *

4.1 Zunehmende Betonung des kommunalen Bereichs - berechtigt? *

4.1.1 Nur eine von 300 Seiten in der Agenda für die Kommunen *

4.1.2 Andere Bereiche sollen gestärkt werden. *

4.1.2.1 Die Privatwirtschaft *

4.2 Aber Vorbildfunktion *

5 Der Grundsatz der Agenda 21 *

6 Bevölkerungsentwicklung *

7 Worum geht es im landwirtschaftlichen Teil der Agenda 21? *

7.1 Nicht um flächendeckende Umstellung *

7.2 Die Rolle der Bauern *

8 Einige weitere Themen *

8.1 Chaotische Ballungszentren *

8.2 Entwicklungshilfe *

8.2.1 Know how *

8.2.2 Geld *

8.3 Veränderung der Konsumgewohnheiten *

8.4 Klärschlamm *

8.5 Schutz der Erdatmosphäre *

8.5.1 Das Wort Kohlendioxid (CO2) kommt nicht vor *

8.5.2 Das Wort Kernenergie auch nicht *

9 Schlußbemerkung *

  1. Seit 1996 läuft die Diskussion bei uns
  2. Die Diskussion um die Agenda 21 hat in Deutschland eigentlich erst 1996 so richtig begonnen, obgleich die Agenda schon 1992 verabschiedet wurde. Einer der Gründe für die verspätete Behandlung ist die Tatsache, dass die deutsche Übersetzung erst mit dreijähriger Verspätung erschien Kritische Betrachtungen aus landwirtschaftlicher Sicht zur "Agenda 21" konnte ich schon vor zwei Jahren hier im Club vortragen. Eine Arbeit von mir über das Thema "Agenda 21 und Wald" liegt der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald als Diskussionspapier vor und kann auch im Internet unter http://www.drstamp.de/links/agendawald.html angesehen werden.

    Im Internet ist auch eine Arbeit von mir zur Agenda 21 und Nachhaltigkeit, wobei die moderne Landwirtschaft als Modellfall für Nachhaltigkeit abgehandelt wird (http://www.drstamp.de/links/agenda.html).

    Heute geht es nun um die Agenda 21 als "Rezept für private Initiativen". Die Agenda 21 ist ein Dokument von 300 Seiten Umfang, in dem das Wort "privat" 244 mal vorkommt. An Stoff für einen Vortrag zu diesem Thema wird es also nicht fehlen.

  3. 1992 in Rio de Janeiro
    1. Agenda 21
    2. Im Juni 1992 wurde in Rio de Janeiro auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung unter anderem die Agenda 21 verabschiedet. 178 Staaten, unter ihnen Deutschland, einigten sich auf dieses Dokument zur Umweltpolitik im 21. Jahrhundert (daher: 21). Das Wort Agenda ist lateinisch und bedeutet: "das, was wir machen müssen".

      Es scheint so zu sein, dass kaum jemand dieses Dokument bisher sorgfältig gelesen hat, dass aber gleichwohl überall darüber geredet wird. Es scheint sich herumgesprochen zu haben, dass es bei der Agenda um das Prinzip nachhaltiger Nutzungen geht. Mehr nehmen viele Menschen vom Inhalt der Agenda nicht zur Kenntnis und reflektieren dann das, was sie selbst unter Nachhaltigkeit verstehen so, als ginge es dabei um den Inhalt der Agenda.

      Viele sind auf der Suche nach den Kernaussagen der Agenda 21. Die Mühe, in der Agenda 21 selbst auf die Suche zu gehen, unterzieht sich aber kaum jemand.

    3. Der Aufbau der Agenda

    Die etwa 300 seitige Agenda besteht aus einer Präambel von knapp einer Seite Länge und ansonsten aus vier Teilen. Der erste dieser Teile beschreibt die

    soziale und wirtschaftliche Dimension

    des Problems. Man beachte, dass es nicht heißt: "soziale, wirtschaftliche und ökologische Dimensionen".

    Der zweite Teil nimmt vom gesamten Inhalt mehr als die Hälfte ein und hat die bezeichnende Überschrift

    Erhaltung und Bewirtschaftung der Ressourcen für die Entwicklung.

    Der dritte Teil wird von einer eigenen Präambel eingeleitet . Die Agenda hat also streng genommen zwei Präambeln. Der dritte Teil ist vom Umfang her der kürzeste und trägt den Titel

    Stärkung der Rolle wichtiger Gruppen.

    Dabei geht es vor allem um eine Einbindung aller gesellschaftlichen Schichten. Für meinen heutigen Vortrag ist dies das wichtigste Kapitel.

    Der vierte Teil heißt

    Möglichkeiten der Umsetzung.

    Er besteht aus acht der insgesamt 40 Kapitel, von denen alleine vier den Bereichen Ausbildung, Wissenschaft, Technologie gewidmet sind. Wenn Geld der Mittelpunkt der Dinge ist, ist das erste Kapitel des vierten Teils das wichtigste.

  4. Eine Fülle von Mißverständnissen
  5. Zur Umsetzung der Agenda 21 gibt es trotz des geringen Informationsstandes bereits die verschiedensten Aktionen. In Schleswig-Holstein z.B. gab es am 12. September 1996 im Landeshaus eine sogenannte Auftaktveranstaltung und zahlreiche weitere Veranstaltungen mit einer Fülle von Missverständnissen. Überhaupt ist die Diskussion um die Agenda 21 stark von Missverständnissen geprägt:

    1. Die Auftaktveranstaltung vom Herbst 1996
    2. Anläßlich der Auftaktveranstaltung hat der schleswig-holsteinische Umweltminister Rainder Steenblock sich ausdrücklich der Bewertung des Wuppertal-Instituts in der dortigen Studie "zukunftsfähiges Deutschland" angeschlossen. In der Studie wird zur Erfüllung des Postulats der Nachhaltigkeit eine flächendeckende Umstellung auf den ökologischen Landbau bis zum Jahre 2010 gefordert. In dem später erschienenen Tagungsband fielen die Anmerkung Steenblocks größtenteils dem Kürzungsstift zum Opfer. Die zu dieser Frage immer wieder zitierte Wuppertalstudie erwähnt übrigens die Agenda 21 überhaupt nicht. Es findet sich zwar der eine oder andere Hinweis auf die Konferenzen von Rio, aber keine konkreten Hinweise auf das Agendadokument. Dies hätte diejenigen, die sich unter Umgehung der Lektüre der Agenda selbst der Thesen des Wuppertal-Instituts bedient haben, eigentlich stutzig machen müssen.

    3. Rot-Grün besetzt das Thema auf sachfremde Weise
    4. Die Menschen reflektieren das, was sie selbst unter Nachhaltigkeit verstehen so, als ginge es dabei um den Inhalt der Agenda. Von vielen Menschen, insbesondere bei Bündnis90/Die Grünen und einigen Umweltverbänden haben wir ohnehin eine Gleichstellung von Nachhaltigkeit und Umweltschutz, die dazu führt, dass zum Begriff Nachhaltigkeit absurde Diskussionen geführt werden. In gewissem Umfang gilt das auch für die SPD. Insgesamt versucht das rot-grüne Lager, das Thema Agenda 21 auf eine Weise politisch zu besetzen, die mit dem Inhalt der Agenda 21 nichts mehr zu tun hat. Ohne Kenntnisnahme des Inhalts der Agenda 21 werden die bisherigen umweltpolitischen Vorstellungen als Agenda-Maßnahmen politisch "verkauft".

    5. Kein Sammelsurium, aus dem man alles herauslesen kann

    Man hört immer wieder, die Agenda sei ein durch Kompromisse entstandenes Sammelsurium, aus dem man "alles" herauslesen könne. Diese Auffassung teile ich nicht. Interpretationsschwierigkeiten habe ich nur an ganz wenigen Stellen. Auf ein Problem dieser Art gehe ich beim Kapitel zum Schutz der Erdatmosphäre noch ein.

    Wenn man mir bisher mit unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten kam, konnte ich an Hand der herangezogenen Stellen der Agenda zeigen, dass es die Interpretationsmöglichkeiten nicht wirklich gibt. So wollte ein ansonsten als besonders seriös, abwägend und sachlich bekannter Kirchenvertreter darlegen, ein Abschnitt aus dem Kapitel 14.9 enthalte die Aussage, dass die "Nordländer zur Extensivierung ihrer Landwirtschaft aufgerufen" seien. Hintergrund war die nicht zu bestreitende Erkenntnis, dass an etlichen Stellen der Agenda die Intensivierung der Landwirtschaft gefordert wird. Es heißt dort wie folgt:

    Die Regierungen sollen .... eine Politik, Gesetze und sonstige Rechtsvorschriften sowie Anreizstrukturen erarbeiten, einführen und überwachen, die zu einer nachhaltigen landwitschaftlichen und ländlichen Entwicklung und einer besseren Ernährungssicherung und zur Entwicklung und Transfer angepaßter Agrartechnologien - gegebenenfalls einschließlich nachhaltiger landwirtschaftlicher Systeme mit niedrigem Produktionsmitteleinsatz - führen ... .

     

    Abgesehen von dem die ganze Agenda durchziehenden Petitum, beim Stoffeinsatz sparsam zu sein, stützt in diesem Absatz nichts die Interpretation des Kirchenvertreters. Das nachfolgende Zitat aus Kapitel 14.1 spricht klar gegen die Interpretation:

     

    Sowohl in den Industrieländern als auch in den Entwicklungsländern sind auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene umfangreiche Anpassungen im Agar- und Umweltschutzbereich sowie auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene notwendig, damit die notwendigen Voraussetzungen für eine nachhaltige, standortgerechte Landwirtschaft und ländliche Entwicklung geschaffen werden können. Oberstes Ziel dieser Entwicklung ist die nachhaltige Steigerung der Nahrungsmittelproduktion und die Verbesserung der Ernährungssicherung.

     

  6. Zunehmende Betonung des kommunalen Bereichs
  7. Auf den nachfolgenden Veranstaltungen gab es dann eine zunehmende Betonung des kommunalen Bereichs. Ja, man hat inzwischen den Eindruck, dass das Verhalten der Kommunen bei uns als die zentrale Frage angesehen wird.

    1. Zunehmende Betonung des kommunalen Bereichs - berechtigt?
    2. Ist die zunehmende Betonung des kommunalen Bereichs - berechtigt?

      Hierzu ist folgendes anzumerken:

      1. Nur eine von 300 Seiten in der Agenda für die Kommunen

28.1 Als Politik- und Verwaltungsebene, die den Bürgern am nächsten ist, spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Informierung und Mobilisierung der Öffentlichkeit und ihrer Sensibilisierung für eine nachhaltige und umweltverträgliche Entwicklung.

Dies ist der wichtigste Satz aus einem Kapitel von allerdings nur wenig mehr als einer Seite Länge, der sich mit der Rolle der Kommunen befaßt. Das Kapitel 28 ist unter den 40 Kapiteln das kürzeste. Konkret heißt es dann:

28.2 ...bis 1996 soll sich die Mehrzahl der Kommunalverwaltungen der einzelnen Länder gemeinsam mit ihren Bürgern einem Konsultationsprozeß unterzogen haben und einen Konsens hinsichtlich einer "kommunalen Agenda 21" erzielt haben...

Bis spätestens zum Ende des Jahres 1996 hätte die Agenda also inhaltlich abschließend bei den Verwaltungen behandelt gewesen sein müssen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die meisten derer, die im Kommunalbereich Verantwortung tragen, haben bisher die Agenda noch nicht einmal gelesen. Hinzu kommt, dass viele in den Kommunen meinen, die Kommunen müßten eigene inhaltliche Programme aufstellen; darüber steht im Kapitel 28 aber nichts. Es geht also darum,

um mehr geht es für die Kommunen nicht, solange man nach der ausdrücklichen Aufgabenteilung der Agenda geht.

Dabei ist es ganz offensichtlich nicht Ziel der Agenda, dass die öffentlichen Verwaltungen an Bedeutung gewinnen sollen. Denn von einer Stärkung der Kommunen ist, anders als bei etlichen anderen, nicht vorrangig die Rede. Die Kommunen sollen "unterstützen". Um die Stärkung der Kommunen geht es lediglich insoweit, wie Institutionen, die mit der Stärkung der Handlungsfähigkeit der Kommunen befasst sind, vermehrt gefördert werden sollen. Dies kann man auch als Bekenntnis zur Privatisierung interpretieren, eine Interpretation, die durch die Inhalte der Nachbarkapitel des Kapitels 28 eine Bestätigung erfährt.

      1. Andere Bereiche sollen gestärkt werden.
      2. Bei anderen Bereichen heißt es ausdrücklich, dass sie gestärkt werden sollen:

        1. Die Privatwirtschaft

Allein für die Stärkung der Privatwirtschaft finden wir mit dem Kapitel 30 eine Abhandlung, die mehr als doppelt so lang ist, wie das gesamte Kapitel für die Kommunen. Arbeitnehmer, Gewerkschaften und die Bauern haben hierzu nochmals ebenso viel Beachtung gefunden in gesonderten Kapiteln, in denen es um ihre Stärkung geht. Fasst man dies alles zusammen, kommt den Kommunen eher eine geringe Rolle zu. Ja, es wird der Stärkung der nichtstaatlichen Organisationen ein weiteres gesondertes Kapitel gewidmet.

Nicht in dem Kapitel aber bestens dazu passend in Kapitel 2.37 finden wir förmlich eine Anleitung für vernünftige Wirtschaftspolitik. Ich möchte Ihnen diese Textstelle vorlesen:

Präziser ausgedrückt sollen sich alle Länder für eine Politik entscheiden, die eine bessere Ressourcenallokation gewährleistet und vollen Nutzen aus den Möglichkeiten zieht, die sich aufgrund der sich verändernden weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ergeben. Insbesondere sollen die Länder gegebenenfalls unter Berücksichtigung nationaler Strategien und Zielen

  1. die auf bürokratische Unzulänglichkeiten, administrativen Druck, unnötige Kontrollen und die Missachtung von Marktbedingungen zurückzuführenden Hindernisse auf dem Weg zum Fortschritt beseitigen;
  2. die Transparenz in der Verwaltung und in der Entscheidungsfindung erhöhen;
  3. den privaten Sektor und das freie Unternehmertum durch Erweiterung der institutionellen Möglichkeiten für die Gründung von Unternehmen und durch Verbesserung des Marktzutritts fördern. Wichtigstes Ziel wäre die Vereinfachung oder Beseitigung der Beschränkungen, Vorschriften und Formalitäten, welche in vielen Entwicklungsländern die Gründung und Führung von Unternehmen erschweren, verteuern und verzögern;

Staatliche Aktivitäten hier zu Lande, die angeblich der Agenda 21 dienen, wirken vor diesem Hintergrund geradezu lächerlich.

Besonders lesenswert ist das Kapitel 30.1. Es soll deshalb voll zitiert werden:

Die Privatwirtschaft einschließlich transnationaler Unternehmen spielt eine zentrale Rolle in der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes. Stabile politische Rahmenbedingungen geben der Privatwirtschaft Möglichkeiten und Anstöße zu einem verantwortungsbewussten und effizienten Handeln und zur Verfolgung längerfristig ausgerichteter Strategien. Höherer Wohlstand, ein vorrangiges Ziel des

Entwicklungsprozesses, entsteht vor allem durch die wirtschaftlichen Aktivitäten der Privatwirtschaft. Sowohl große als auch mittlere und kleine Wirtschaftsunternehmen im formellen ebenso wie im informellen Sektor schaffen wichtige Handels-, Beschäftigungs- und auch Existenzsicherungsmöglichkeiten. Die Wahrnehmung unternehmerischer Möglichkeiten durch Frauen trägt zu deren beruflicher Weiterentwicklung bei, stärkt ihre Rolle in der Wirtschaft und verändert das soziale System. Die Privatwirtschaft einschließlich transnationaler Unternehmen und die sie vertretenden Verbände sollen gleichberechtigte Partner bei der Umsetzung und Bewertung von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Agenda 21 sein.

Und wer von solchem Seelenbalsam nicht genug haben kann, liest dann auch noch das nachfolgende Kapitel:

Durch effizientere Produktionsprozesse, vorbeugende Strategien, saubere Produktionstechnologien und –verfahren während des gesamten Produktkreislaufs, die zur Minimierung der Abfallerzeugung oder zur Abfallvermeidung führen, können Unternehmenspolitik und unternehmerisches Verhalten der Privatwirtschaft

einschließlich transnationaler Unternehmen entscheidenden Einfluß auf die Verminderung der Auswirkungen auf die Ressourcennutzung und die Umwelt nehmen. Technologische Innovationen, technische Entwicklung und Anwendung, Technologietransfer und die umfassenderen Partnerschafts- und Kooperationsaspekte fallen größtenteils in den Aufgabenbereich der Privatwirtschaft.

 

    1. Aber Vorbildfunktion

Lediglich deswegen, weil jedermann nach dem Geist der Agenda zu handeln hat, ist danach auch den Kommunen neben ihrer Aufklärungsfunktion unmittelbar Agenda-gemäßes Handeln abzuverlangen. Dort wo die Kommunen Aufgaben haben, bei denen sie von der Agenda zu bestimmtem Handeln angehalten sind, müssen sie sich Agenda-gemäß verhalten wie jeder einzelne Bürger auch. Dabei haben sie auch eine Vorbildfunktion, die in engem Bezug zur Glaubwürdigkeit der Kommunen bei ihrer Aufklärungsrolle im Rahmen der Kommunalen Agenden steht.

  1. Der Grundsatz der Agenda 21
  2. 1.1

    Die Menschheit steht an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte. Wir erleben eine zunehmende Ungleichheit zwischen Völkern und innerhalb von Völkern, eine immer größere Armut, immer mehr Hunger, Krankheit und Analphabetentum sowie eine fortschreitende Schädigung der Ökosysteme von denen unser Wohlergehen abhängt. Durch eine Vereinigung von Umwelt- und Entwicklungsinteressen und ihre stärkere Beachtung kann es uns jedoch gelingen, die Deckung der Grundbedürfnisse, die Verbesserung des Lebensstandards aller Menschen, einen größeren Schutz und eine bessere Bewirtschaftung der Ökosysteme und eine gesicherte gedeihlichere Zukunft zu gewährleisten.Das vermag keine Nation allein zu erreichen, während es uns gemeinsam gelingen kann: in einer globalen Partnerschaft, die auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet ist.

    Das ist der erste Absatz der Präambel der Agenda

  3. Bevölkerungsentwicklung
  4. 5.4

    Aller Voraussicht nach wird die Weltbevölkerung bis zum Jahre 2020 auf über acht Milliarden gestiegen sein.

    Die Agenda sagt dies als Prognose und bringt kaum, zumindest keine deutlichen, Hinweise darauf, dass eine solche Entwicklung behindert oder gesteuert werden soll. Sie befaßt sich vielmehr vorrangig mit den konkreten Aufgaben, die aus dieser Prognose erwachsen. Hier ist ganz offenbar sehr viel Rücksicht auf Empfindlichkeiten in der Dritten Welt genommen worden. Sucht man gezielt nach Hinweisen zur Geburtenkontrolle ist folgender noch der konkreteste:

    5.50 ... in Übereinstimmung mit den landesspezifischen Gegebenheiten und Rechtssystemen des jeweiligen Landes Maßnahmen zu ergreifen, durch die sichergestellt wird, dass Frauen und Männer das gleiche Recht haben, frei und eigenverantwortlich über die Zahl ihrer Kinder und den zeitlichen Abstand zwischen den einzelnen Geburten zu entscheiden...

  5. Worum geht es im landwirtschaftlichen Teil der Agenda 21?
    1. Nicht um flächendeckende Umstellung
    2. Die Agenda spricht in der Tat nicht von der flächendeckenden Umstellung auf den ökologischen Landbau. Sie gibt vielmehr konkrete Handlungshinweise zur Landwirtschaft, die größtenteils mit dem ökologischen Landbau nicht vereinbar sind.

      Das Wort "Ökologischer Landbau" kommt in der Agenda überhaupt nicht vor. Hier geht es ganz offenbar um weitergehende Begriffsinhalte und nicht um das, was nach den bei uns geltenden Regeln ökologischer Landbau ist. Dafür spricht auch die Tatsache, dass unter den Handlungsanweisungen der Agenda etliche sind, wie z.B. die zur Gentechnologie oder zur integrierten Düngung und dem integrierten Pflanzenschutz, die mit ökologischem Landbau nach unserem Verständnis nicht vereinbar sind (s.o.).

    3. Die Rolle der Bauern

    Das Kapitel 32 befaßt sich (s.o.) speziell mit der Stärkung der Rolle der Bauern. In diesem Kapitel finden wir grundsätzliche Anmerkungen zur Ergänzung der vorherigen ausführlicheren Kapitel der Landwirtschaft. Dabei geht es im Schwerpunkt um die Bauern der Dritten Welt. In der in unserem Land bisher geführten öffentlichen Diskussion gibt es viele, die sich fast nur auf dieses Kapitel konzentrieren und ihm Inhalte unterschieben, die im Widerspruch zu konkreten vorherigen Aussagen der Agenda stehen. So darf man z.B. nicht übersehen, dass allein dem integrierten Pflanzenschutz etwa halb so viel Platz eingeräumt wird, wie dem gesamten Kapitel über die "Rolle der Bauern", und dass das Kapitel 16 zur Gentechnologie sogar viermal so lang ist.

  6. Einige weitere Themen
    1. Chaotische Ballungszentren
    2. Große Aufmerksamkeit widmet die Agenda den chaotischen Ballungszentren. Da gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Es wird zwar nicht erwartet, dass die chaotischen Verhältnisse sich bessern, aber mehr Wirtschaftswachstum erwartet man gerade unter diesen Verhältnissen stärker als in den ländlichen Räumen dieser Länder.

      Und wenn es um die

      Bereitstellung angemessener Infrastrukturleistungen in partnerschaftlichem Zusammenwirken mit örtlichen Gemeinschaften und der Privatwirtschaft

      geht, wird deutlich wie auch hier die Rollenverteilung gesehen wird

      Hier und an vielen anderen Stellen geht es um die

      Erweiterung der Beteiligung der Privatwirtschaft an der Entwicklung der menschlichen

      Ressourcen und der Bereitstellung von Infrastruktur;

       

    3. Entwicklungshilfe
    4. Die Gewichtungen in der Agenda 21 kann man nur richtig bewerten, wenn man ihren gesamten Inhalt kennt. Um die Erkenntnis, dass es in erster Linie um entwicklungspolitische Ansätze geht, kommt man dann nicht herum. Die Entwickelten sind vorrangig angesprochen, wenn es um Abfall, Energie und Atmosphärenschutz geht. Ansonsten sind sie, und das ist der Hauptinhalt der Agenda 21, zur Entwicklungshilfe aufgefordert. Hier gibt es im wesentlichen zwei Wege: Know how und Geld

      1. Know how
      2. An vielen Stellen der Agenda 21 geht es um die Entwicklung und den Transfers von Kenntnissen. Ein Kapitel (Kapitel 34) ist diesem Thema sogar gänzlich gewidmet, und es immerhin gut vier mal so umfangreich wie das Kapitel 28 zu den Kommunen. Der Finanzbedarf für den Wissens- und Technologietransfers beziffert das Kapitel 34 mit 450 bis 600 Mio. Dollar jährlich. Dabei werden Großunternehmen und transnationale Konzerne ohne Scheuklappen betrachtet. Hierzu lässt sich eine ganze Reihe von Zitaten anführen, hier nur eines:

        30.23 Großunternehmen der Privatwirtschaft einschließlich transnationaler Unternehmen sollen die Möglichkeit in Betracht ziehen, gegebenenfalls mit Unterstützung internationaler Organisationen Partnerschaften mit kleinen und mittleren Unternehmen einzugehen, um den Austausch von Erfahrungen in der Führung eines Unternehmens, in der Erschließung von Absatzmärkten und über technisches Know-how zu erleichtern.

         

      3. Geld

      Einer der wichtigsten Sätze der Agenda 21 ist von den Menschen hierzulande noch nicht zur Kenntnis genommen worden. Im Abschnitt 33.18 heißt es:

      Die durchschnittlichen jährlichen Gesamtkosten ... für die Umsetzung der in der Agenda 21 genannten Maßnahmen in den Entwicklungsländern werden ... auf mehr als 600 Mrd. Dollar veranschlagt, einschließlich etwa 125 Mrd. Dollar, in Form an Zuschüssen oder in Form konzessionärer Kredite von der internationalen Staatengemeinschaft.

      Die Lösungen der mit der Agenda 21 angesprochenen Probleme erfordern ungeheure Finanzmittel. Große Teile davon müssen aus den entwickelten Ländern kommen. Wer verantwortungsvoll mit der Agenda 21 umgeht, muss auch an Sparmaßnahmen bei uns zu Gunsten der Entwicklungsländer denken. So manche Mark, die bei uns für hohe und höchste Standards im Umweltschutz ausgegeben wird, müsste vor diesem Hintergrund auf den Prüfstand.

      In dem Zusammenhang noch wichtiger aber ist die Einstellung der Agenda zu privatem Kapital:

      Ausländische Privatinvestitionen und der Rückfluß von Fluchtkapital, die beide von einem gesunden Investitionsklima abhängig sind, stellen eine wichtige Kapitalquelle dar. Viele Entwicklungsländer haben jahrzehntelang eine Situation negativer Nettotransfers von Finanzmitteln erlebt, in deren Verlauf die Kapitalzuflüsse geringer waren als die von diesen Ländern zu leistenden Zahlungen, insbesondere im Rahmen des Schuldendienstes. Die Folge war, daß im Inland flüssig

      gemachtes Kapital ins Ausland transferiert werden mußte, anstatt vor Ort investiert und damit zur Förderung einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung genutzt werden zu können.

      Solche Gedanken, wenn die Agenda 21 sie für die Entwicklungsländer formuliert, können für die entwickelten Länder kaum falsch sein. Auch in Schleswig-Holstein haben wir auf Grund einer negativen Wirtschaftspolitik Abfluss von privatem Kapital.

       

    5. Veränderung der Konsumgewohnheiten
    6. Im Kapitel 4, also recht weit vorne und damit hoch angesiedelt, geht es um die Veränderung der Konsumgewohnheiten. Aus landwirtschaftlicher Sicht ist es interessant, inwieweit die die Landwirtschaft betreffenden Aspekte, die in Deutschland in der öffentlichen Diskussion eine große Rolle spielen, angesprochen sind.

      Ausdrücklich angesprochen werden Landwirtschaft und landwirtschaftliche Produkte überhaupt nicht. Verbergen sie sich hinter allgemeinen Formulierungen und Ausdrücken? Ganz offensichtlich nicht! Es ist überwiegend von Energie und Material die Rede, und dort wo der Text konkret wird, geht es bei Material nur um Abfall.

    7. Klärschlamm
    8. Wie sehr es sich bei der Agenda um ein Programm für die dritte Welt und weniger für die Industriestaaten (zuletzt wohl für Länder wie Deutschland) handelt, wird durch das Kapitel 21 deutlich. Man erfährt dort, dass in den Entwicklungsländern weniger als 10 Prozent der kommunalen Abfälle überhaupt in irgendeiner Form behandelt werden und dass man anstrebt 50 Prozent der Klärschlämme sowie der festen und flüssigen Abfälle zu behandeln oder zu beseitigen, wohlgemerkt !!! nicht mehr.

    9. Schutz der Erdatmosphäre
    10. Das Kapitel zum Schutz der Erdatmosphäre ist als erstes Kapitel des zweiten (Haupt-) Teils auffallend gut plaziert. Inhaltlich hält es einige Überraschungen parat:

      1. Das Wort Kohlendioxid (CO2) kommt nicht vor
      2. Das Wort Kohlendioxid (CO2) kommt in dem Kapitel nicht vor. Die Rede ist jedoch wiederholt von den Treibhausgasen. Gleichwohl überrascht es, dass CO2 nicht ausdrücklich genannt wird, während im Zusammenhang mit der Ozonlochproblematik wiederholt und konkret auf einzelne Stoffe abgestellt wird, wie z.B. FCKW oder Chlor, Brom... Hier kann man versucht sein zu interpretieren, ob die Autoren wissenschaftlich womöglich die Kenntnisse über die Ozonlochproblematik für verläßlicher halten als die Kenntnisse über die Treibhaustheorie. Fest steht jedenfalls, dass die Treibhausproblematik als existentes Problem angesprochen wird und Lösungswege behandelt werden.

        Verhältnismäßig viel Raum nimmt auch der Bereich der Luftverunreinigungen ein. Dabei wird besonders herausgestellt, dass es in der Lagebeurteilung mangels sicherer Daten außerhalb Europas und Nordamerikas große Defizite gibt.

      3. Das Wort Kernenergie auch nicht

    Die Kernenergie hat in dem Kapitel zum Schutz der Erdatmosphäre keinen Platz, jedenfalls nicht als Weg zur Problemlösung. Nur einmal kommt das Wort "Kernreaktorunfälle" vor, also eine deutlich negative Tendenz ist erkennbar. Für diese Tendenz spricht auch, dass es ein eigenständiges Kapitel (Kapitel 22) zum Umgang mit radioaktiven Abfällen gibt.

  7. Schlußbemerkung

Zum Schluß mache ich eine Anmerkung zu meinen bisherigen Erfahrungen in der Diskussion um die Agenda 21. Nur selten stieß ich auf Gesprächspartner, die mit dem Inhalt der Agenda vertraut waren. Selten genug war es schon, wenn meine Gesprächspartner einzelne Teile kannten. Nur einmal hatte ich das Glück, jemanden zu treffen, der den gesamten Inhalt gelesen hatte, ein Beamter des Bundesumweltministeriums. Selbst von mir ansonsten hoch geschätzte Gesprächspartner haben mit der Agenda einen meist seltsamen Umgang. Als die Kommunalpolitische Vereinigung der schleswig-holsteinischen CDU einen angeblichen Experten zur Agenda 21 aus der bayerischen Staatsregierung als Hauptreferenten eingeflogen hatte, blieb es von der Versammlung unbemerkt, dass dieser Mann über den Inhalt der Agenda überhaupt nicht sprach. Er sprach nur über das, was in Bayern unter dem Vorzeichen Agenda 21 gemacht wird und womit Bayern sich das Image Vorbildfunktion erworben hat. Darunter sind auch Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität in Bayern (!!!s.o.!!!), was m.E. einen Verstoß gegen eines der Hauptanliegen der Agenda bedeutet.